Keine Angst vor der Angst: Wie Familien mit Ängsten umgehen können

Die Monster unter dem Bett sind das eine, die Sorge um die Zukunft der Kinder das andere. Angst ist ein ständiger Begleiter, der uns in unterschiedlichen Lebensphasen heimsucht. Doch wie sprechen wir darüber, wie begegnen wir ihr? Autorin Christine Rickhoff, selbst Mutter von vier Kindern, hat sich dieser Frage angenommen und mit 100 prominenten Persönlichkeiten, Kindern und außergewöhnlichen Menschen über ihre Ängste und Bewältigungsstrategien gesprochen. Ein Gespräch über Ehrlichkeit, Verletzlichkeit und die Kunst, inmitten von Unsicherheiten eine stabile Glücksinsel zu schaffen.

Angst als ständiger Begleiter im Familienalltag

In einer Welt, die von Krisen und Unsicherheiten geprägt ist, wird Angst zu einem allgegenwärtigen Thema – auch in den Familien. Christine Rickhoff betont, dass Angst in jedem Haus, in dem Menschen leben, präsent ist. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie offen man damit umgeht. Sie plädiert für Ehrlichkeit gegenüber den Kindern, da diese ohnehin in der Schule und durch die Medien mit den Schattenseiten der Welt konfrontiert werden. Daher sei es wichtig, zu Hause eine Atmosphäre des offenen Gesprächs zu schaffen, in der Ängste und Unsicherheiten ausgesprochen werden können. Dies erfordert Mut und Anstrengung, denn es bedeutet, sich den eigenen Ängsten zu stellen und gleichzeitig den Kindern einen sicheren Raum zu bieten. Doch nur so können Eltern ihre Kinder wirklich verstehen und ihnen helfen, mit ihren Ängsten umzugehen.

Die Bandbreite der Ängste ist dabei so vielfältig wie das Leben selbst. Von der Angst vor Monstern unter dem Bett bei den Jüngsten bis hin zu existenziellen Zukunftsängsten bei den älteren Kindern ist alles dabei. Rickhoff betont, dass diese Spannbreite in jeder Familie im Laufe der Jahre auftritt. Durch die großen Altersunterschiede ihrer Kinder erlebt sie diese Vielfalt jedoch besonders intensiv. Es ist eine Herausforderung, jedem Kind in seiner individuellen Angst gerecht zu werden und altersgerechte Antworten und Unterstützung anzubieten.

Christine Rickhoff

Christine Rickhoff, Autorin, spricht über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zum Thema Angst, gewonnen aus Gesprächen mit 100 außergewöhnlichen Menschen.

Die Initialzündung: Ein Kinderwunsch als Inspiration

Die Idee zu ihrem Buch entstand aus einer sehr persönlichen Erfahrung. Ihr Sohn Emil, damals sechs Jahre alt, hatte während des Lockdowns und der Schulzeit unter Pandemiebedingungen mit Albträumen zu kämpfen. In seiner kindlichen Logik kam er auf die Idee, dass seine Mutter doch einfach viele Menschen nach Tipps gegen Albträume und Angst fragen und daraus ein Buch für Kinder machen könnte. Eine Idee, die nicht nur Rickhoff selbst, sondern auch den Oetinger-Verlag begeisterte. So wurde aus der kindlichen Bitte ein Buchprojekt, das sich auf eine einfühlsame Weise dem Thema Angst nähert.

Rickhoffs Sohn Emil gab den Anstoß zu einem Projekt, das weit über die Bewältigung seiner eigenen Albträume hinausgeht. Seine kindliche Unbefangenheit und sein Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Mutter inspirierten sie dazu, sich auf die Suche nach Antworten zu begeben. Es ist ein Beispiel dafür, wie Kinder uns Erwachsene oft auf die besten Ideen bringen und uns dazu ermutigen, neue Wege zu gehen. Die Geschichte von Emil zeigt, dass Angst nicht nur ein persönliches Problem ist, sondern auch eine Chance sein kann, sich mit anderen zu verbinden und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

100 Stimmen gegen die Angst: Einblicke in die Gefühlswelt von Prominenten und Experten

Für ihr Buch führte Christine Rickhoff Gespräche mit 100 Menschen aus unterschiedlichen Bereichen – darunter Prominente wie Peter Maffay, Thomas Müller und Checker Tobi, aber auch Kinder und Experten. Sie alle teilten ihre persönlichen Erfahrungen mit Angst und gaben Einblicke in ihre Strategien zur Bewältigung. Rickhoff war überrascht, wie offen und verletzlich sich viele Gesprächspartner zeigten, selbst solche, die sie zuvor als eher unnahbar eingeschätzt hatte. Besonders beeindruckt hat sie Lina Larissa Strahl, die offen über ihre Therapie sprach und damit ein ehrliches Vorbild in Sachen Selbstfürsorge war.

„Ich fühle mich jetzt viel weniger hilflos, wenn ich Angst habe oder wenn die Kinder mit ihren Ängsten zu mir kommen. Ich hab durch die Gespräche einen richtigen Rucksack voller Werkzeuge und ich verstehe die Mechanismen der Angst viel besser, seit ich mit all den Psycholog:innen, Therapeut:innen und Expert:innen gesprochen habe.“

Die Gespräche mit den 100 Menschen waren für Christine Rickhoff eine intensive und lehrreiche Erfahrung. Sie erkannte, dass Angst ein universelles Gefühl ist, das uns alle verbindet – unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Status. Durch die Offenheit ihrer Gesprächspartner konnte sie nicht nur neue Perspektiven auf das Thema Angst gewinnen, sondern auch ihren eigenen Umgang damit verändern. Sie betont, dass sie sich nun weniger hilflos fühlt, wenn sie selbst oder ihre Kinder mit Ängsten konfrontiert sind, da sie durch die Gespräche einen „Rucksack voller Werkzeuge“ erhalten hat.

Auch Astronauten haben Ängste: Die Überwindung von Grenzen

Selbst ein Astronaut, so Rickhoff, habe Ängste. Dr. Gerhard Thiele, ein warmherziger Gesprächspartner, würde beispielsweise niemals Bungeejumping machen. Seine Freude auf den Flug ins All und sein Forschergeist seien jedoch größer gewesen als seine Ängste. Dies zeigt, dass Angst nicht zwangsläufig ein Hindernis sein muss, sondern dass sie durch Leidenschaft und Entschlossenheit überwunden werden kann.

Die Geschichte von Dr. Gerhard Thiele verdeutlicht, dass Angst nicht mit Mutlosigkeit gleichzusetzen ist. Auch Menschen, die scheinbar Unmögliches erreichen, kennen Angst. Der entscheidende Unterschied liegt darin, wie sie damit umgehen. Thiele ließ sich von seiner Angst nicht davon abhalten, seinen Traum zu verwirklichen, sondern nutzte seine Faszination für das All als Antrieb, um seine Ängste zu überwinden. Dies ist eine wichtige Botschaft für Kinder und Erwachsene gleichermaßen: Angst ist ein natürlicher Teil des Lebens, aber sie muss nicht unser Handeln bestimmen.

Intime Einblicke: Berührende Gespräche über ein Tabuthema

Die Gespräche über Angst waren oft sehr intim und berührend. Rickhoff beschreibt, dass ihr viele Gesprächspartner einen großen Vertrauensvorschuss geschenkt haben. Gerade bei kurzen Zeitfenstern sei es wichtig gewesen, dem Gegenüber zu vermitteln, dass man nichts verurteilt und behutsam mit dem Gesagten umgeht. Einige Gesprächspartner hätten ihr erzählt, dass sie in der Nacht vor dem Interview schlecht geschlafen hätten, weil sie sich so viele Gedanken gemacht hätten. Dies habe ihr verdeutlicht, wie viel Mut es erfordert, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und darüber zu sprechen.

Überraschende Erkenntnisse: Vom hadernden Vorleser zum brillanten Sprecher

Eine der überraschendsten Erkenntnisse für Christine Rickhoff war, dass viele Menschen, die heute in ihrem Bereich brillieren, früher mit genau diesem Thema gehadert haben. So hatte der Sprecher von Bob Andrews aus „Die drei ???“ Angst vor dem Vorlesen, der Olympiareiter Michael Jung wollte nach einem Sturz nicht mehr reiten und die Jazzsängerin Fola Dada brachte beim Vorsingen im Kindergarten vor Aufregung keinen Ton heraus. Diese Geschichten zeigen, dass Angst nicht das Ende bedeuten muss, sondern dass sie überwunden werden kann und sogar zu außergewöhnlichen Leistungen führen kann.

Die Beispiele von Menschen, die ihre Ängste überwunden haben, sind inspirierend und ermutigend. Sie zeigen, dass es möglich ist, über sich hinauszuwachsen und seine Ziele zu erreichen, auch wenn man mit Ängsten zu kämpfen hat. Diese Geschichten können Kindern und Erwachsenen gleichermaßen Mut machen, sich ihren eigenen Ängsten zu stellen und an sich selbst zu glauben. Sie verdeutlichen, dass Perfektion nicht notwendig ist, um erfolgreich zu sein, sondern dass es vielmehr auf den Umgang mit den eigenen Schwächen ankommt.

Der 5-4-3-2-1-Tipp: Ein Notfallkoffer gegen die Angst

Als besten Notfalltipp gegen Angst hat Christine Rickhoff den 5-4-3-2-1-Tipp von Schauspielerin Jule Hermann kennengelernt:
Denk an fünf Menschen, die du liebst, an vier Lebensmittel, die du hasst, an drei Dinge, die du auf eine einsame Insel mitnehmen würdest, an zwei Geschenke, die du dir zu Weihnachten wünschst und an einen Ort, an dem du gerne wärst. Dieser Tipp lenkt durch das konzentrierte Nachdenken ab, fokussiert auf Gutes, bringt dich gedanklich wieder ins Hier und Jetzt und hilft, den Tunnelblick in der Angst wieder zu weiten. Er kann sogar bei ausgewachsenen Panikattacken helfen, aus der Angst auszusteigen.

Eigene Ängste als Mutter: Die Ohnmacht des Beschützenwollens

Wie viele Eltern hat Christine Rickhoff oft Angst, dass ihren Kindern etwas passiert oder dass ihr als Eltern etwas zustößt und sie dann nicht mehr für ihre Kinder da sein können. Die Vorstellung, ihre Kinder nicht komplett beschützen zu können, treibe sie manchmal in den Wahnsinn. In diesen Momenten hilft ihr der Tipp von Stefanie Stahl, sich bewusst zu machen, dass es nur ihre eigenen Gedanken sind, die ihr Angst einjagen und dass man Gedanken steuern bzw. einfangen kann.

Die Ängste von Eltern sind oft eng mit dem Wunsch verbunden, ihre Kinder vor allem Übel zu bewahren. Doch die Realität sieht anders aus: Eltern können ihre Kinder nicht vor allen Gefahren schützen, und diese Erkenntnis kann zu großer Ohnmacht führen. Der Tipp von Stefanie Stahl, sich der eigenen Gedanken bewusst zu werden und sie zu steuern, ist ein wichtiger Schritt, um mit diesen Ängsten umzugehen. Es geht darum, die Kontrolle über die eigenen Gedanken zurückzugewinnen und sich nicht von negativen Szenarien überwältigen zu lassen.

Veränderung durch Gespräche: Ein Rucksack voller Werkzeuge

Durch die Gespräche mit anderen hat sich Christine Rickhoffs Blick auf die Angst verändert. Sie fühlt sich nun weniger hilflos, wenn sie selbst oder ihre Kinder mit Ängsten konfrontiert sind. Sie hat einen „Rucksack voller Werkzeuge“ erhalten und versteht die Mechanismen der Angst besser. Zudem fühlt sie sich verbundener mit anderen Menschen, da sie erkannt hat, dass wir alle mit ähnlichen Gefühlen kämpfen und nicht so alleine sind, wie es sich manchmal anfühlt.

Das Buch als Freund: Ein respektvoller Umgang mit Verletzlichkeit

Christine Rickhoff wünscht sich, dass ihr Buch wie ein Freund gelesen wird und dass die Menschen darin in ihrer Verletzlichkeit respektiert werden. Sie betont, dass niemand die Offenheit der Menschen in dem Buch als Schwäche werten und jemanden für seine Gefühle verurteilen sollte. Auch zwei ihrer Kinder erzählen in dem Buch von ihren Ängsten. Sie hat ihnen gesagt: „Sollte euch je ein Mensch auslachen für eure Offenheit, dann sagt ihm, dass er ruhig lachen soll. Er lacht gleichzeitig über einen Astronauten, einen Bürgermeister, einen Nationalspieler, über Checker Tobi und über alle anderen Menschen, die ehrlich sind. Das sagt eine Menge aus – und zwar nicht über euch, sondern über den, der lacht.“

Die Botschaft von Christine Rickhoff ist klar: Verletzlichkeit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Wer sich öffnet und über seine Ängste spricht, zeigt Mut und Ehrlichkeit. Es ist wichtig, eine Gesellschaft zu schaffen, in der diese Offenheit nicht verurteilt, sondern wertgeschätzt wird. Rickhoffs Appell richtet sich an alle, die mit Ängsten zu kämpfen haben, aber auch an diejenigen, die anderen zuhören und sie unterstützen wollen. Nur gemeinsam können wir ein Klima des Vertrauens schaffen, in dem Angst ihren Schrecken verliert.

Emils Stolz: Verletzlichkeit als Stärke

Emil ist unglaublich stolz auf das Buch, weil er merkt, dass er sich etwas richtig Tolles ausgedacht hat, das vielen Menschen hilft. Christine Rickhoff freut sich, dass gerade er als Junge schon früh lernen durfte, dass Verletzlichkeit keine Schwäche, sondern eine Stärke ist. Sie hat in den Interviews mit Männern oft gehört, dass ihnen als Kindern Angst quasi verboten wurde, weil Jungs stark sein sollten. Dies habe sie sehr darin bestärkt, dass es wichtig ist, dieses Buch zu schreiben.

Fazit: Angst als Chance zur persönlichen Entwicklung

Christine Rickhoffs Buch „Keine Angst vor der Angst“ ist mehr als nur ein Ratgeber. Es ist ein Mutmachbuch, das zeigt, dass Angst ein Teil des Lebens ist und dass es möglich ist, sie zu überwinden. Durch die Gespräche mit 100 Menschen hat die Autorin wertvolle Einblicke in die Gefühlswelt anderer gewonnen und ihren eigenen Umgang mit Angst verändert. Sie betont die Bedeutung von Ehrlichkeit, Verletzlichkeit und Offenheit im Umgang mit Angst und ermutigt dazu, sich den eigenen Ängsten zu stellen und sich Unterstützung zu suchen. Das Buch ist ein wertvoller Begleiter für Kinder und Erwachsene gleichermaßen und kann dazu beitragen, ein Klima des Vertrauens zu schaffen, in dem Angst ihren Schrecken verliert.

QUELLEN

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