Der Supermarkt, der morgendliche Stau, die unendliche To-Do-Liste – der Alltag als berufstätige Mutter ist ein Drahtseilakt. Zwischen Windeln wechseln, Präsentationen vorbereiten und dem Versuch, ein gesundes Abendessen auf den Tisch zu zaubern, bleibt oft wenig Zeit für das Wesentliche: die emotionale Entwicklung der Kinder. Ein Schlüsselwort, das in vielen Erziehungsratgebern auftaucht, ist „Selbstregulation“. Aber was bedeutet das eigentlich, und wie können Mütter ihren Kindern helfen, diese Fähigkeit zu entwickeln?
Was bedeutet Selbstregulation überhaupt?
Selbstregulation ist mehr als nur das Unterdrücken von Wutanfällen. Es ist die Fähigkeit, große Gefühle zu managen, ohne von ihnen überwältigt zu werden oder sich selbst oder anderen zu schaden, so definiert es Dawn Friedman, eine Expertin für Kinderängste. Es geht darum, die eigenen Emotionen zu erkennen, zu verstehen und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Diese Fähigkeit ist entscheidend für den Umgang mit Stress, für soziale Interaktionen und letztendlich für den Erfolg im Leben.
Jennifer L. Hartstein, eine Psychotherapeutin, die sich auf Kinder, Jugendliche und Familien spezialisiert hat, beschreibt Selbstregulation als einen Teilbereich der emotionalen Regulationsfähigkeiten. „Es ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten und die Reaktionen in verschiedenen Situationen effektiv zu steuern“, erklärt sie. Selbstregulation ermöglicht es Kindern, Wutanfälle zu vermeiden, Regeln zu befolgen, ihre körperlichen Impulse zu kontrollieren und Respekt gegenüber anderen zu zeigen. Es ist die innere Bremse, die Kinder davor bewahrt, im Affekt unüberlegte Dinge zu tun.
Kinder, die gelernt haben, sich selbst zu regulieren, können besser mit Frustration umgehen, sind weniger impulsiv und können sich besser konzentrieren. Sie sind in der Lage, ihre Bedürfnisse zu erkennen und auf eine Weise zu kommunizieren, die für andere verständlich ist. Das macht sie nicht nur zu angenehmeren Spielkameraden, sondern auch zu erfolgreichen Schülern und später zu verantwortungsbewussten Erwachsenen.
Warum tun sich Kinder mit der Selbstregulation so schwer?
Es ist wichtig zu verstehen, dass Selbstregulation keine angeborene Fähigkeit ist. Sie entwickelt sich im Laufe der Kindheit, und zwar in engem Zusammenspiel mit der Entwicklung des Gehirns. Der präfrontale Cortex, der für Impulskontrolle und Planung zuständig ist, ist bei kleinen Kindern noch nicht vollständig ausgereift. Das bedeutet, dass Kinder oft gar nicht die Fähigkeit haben, ihre Impulse zu kontrollieren. Wenn ein Kind also seine Schwester schlägt, kann es auf die Frage „Warum hast du das getan?“ oft keine Antwort geben. Es weiß es schlichtweg nicht, weil es im Affekt gehandelt hat, bevor es überhaupt darüber nachdenken konnte.
Ein weiterer Faktor ist das Temperament. Manche Kinder sind von Natur aus sensibler und reagieren intensiver auf Reize. Sie haben es schwerer, sich selbst zu beruhigen und ihre Emotionen zu regulieren. Auch die Erziehung spielt eine entscheidende Rolle. Eltern, die ihren Kindern ständig alle Hindernisse aus dem Weg räumen oder zu schnell eingreifen, wenn sie traurig sind, nehmen ihnen die Möglichkeit, eigene Strategien zur Selbstregulation zu entwickeln.
Kinder mit bestimmten psychischen oder Verhaltensstörungen, wie ADHS, Angststörungen oder Autismus-Spektrum-Störungen, haben es oft besonders schwer mit der Selbstregulation. Ihr Nervensystem ist schneller überreizt, und sie haben Schwierigkeiten, sich zu beruhigen. In solchen Fällen ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Es ist wichtig zu beachten, dass jedes Kind anders ist und sich in seinem eigenen Tempo entwickelt. Einige Kinder entwickeln Selbstregulierungsfähigkeiten früher und leichter als andere. „Selbstregulation wird sowohl durch das Temperament als auch durch erlerntes Verhalten beeinflusst“, sagt Dr. Hartstein. Zum Beispiel sind manche Kinder von Natur aus besser darin, sich selbst zu beruhigen, was ein grundlegendes Element der Selbstregulation ist. Andere haben möglicherweise Schwierigkeiten, weil ihre Eltern zu schnell eingreifen, wenn sie verärgert sind, und sie daran hindern, zu lernen, sich selbst zu regulieren, erklärt Dr. Hartstein.
Selbstregulation ist keine Frage von Disziplin, sondern eine Frage der Entwicklung und des Lernens.
Die gute Nachricht ist: Selbstregulation kann erlernt und trainiert werden. Auch wenn es manchmal eine Herausforderung ist, gibt es viele Möglichkeiten, wie Mütter ihre Kinder dabei unterstützen können, diese wichtige Fähigkeit zu entwickeln. Es beginnt damit, die eigenen Erwartungen anzupassen und zu verstehen, dass es Zeit und Geduld braucht, bis ein Kind lernt, seine Emotionen zu kontrollieren.
Das Verständnis für die individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen jedes Kindes ist entscheidend. Während einige Kinder von strukturierten Routinen und klaren Erwartungen profitieren, benötigen andere möglicherweise mehr Freiraum und Unterstützung, um ihre eigenen Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden, das sowohl die Entwicklung von Selbstregulation fördert als auch die einzigartige Persönlichkeit des Kindes respektiert. Dieser Ansatz erfordert Achtsamkeit und die Bereitschaft, die eigenen Erziehungsstrategien anzupassen.
Neben dem individuellen Ansatz ist es wichtig, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem Kinder sich sicher fühlen, ihre Emotionen auszudrücken und zu lernen. Dies beinhaltet, dass Eltern selbst als Vorbilder agieren, indem sie ihre eigenen Emotionen auf gesunde Weise regulieren und offen über ihre Gefühle sprechen. Indem Eltern zeigen, wie sie mit Stress und Frustration umgehen, geben sie ihren Kindern wertvolle Werkzeuge an die Hand, die sie in ihrem eigenen Leben anwenden können.
Selbstregulierung für Kinder
Sieben Strategien, die wirklich helfen
Hier sind sieben bewährte Strategien, die Mütter in ihren Alltag integrieren können, um ihre Kinder bei der Entwicklung von Selbstregulation zu unterstützen:
- Übung macht den Meister: Selbstregulation fällt besonders in Übergangssituationen schwer. Das können der morgendliche Aufbruch zur Schule, der Wechsel von Spielen zu Hausaufgaben oder das Ende eines aufregenden Tages sein. Hilfreich ist es, solche Situationen in kleine, überschaubare Schritte zu zerlegen und diese immer wieder zu üben. Erstelle beispielsweise einen klaren Plan für die Hausaufgabenzeit: Wo wird gesessen? Was muss vor der Pause erledigt werden? Welche Belohnung gibt es danach?
- Gefühle validieren: Auch wenn das Verhalten des Kindes problematisch ist, sind seine Gefühle immer berechtigt. Zeige deinem Kind, dass du seine Emotionen verstehst. Wenn es beispielsweise nach dem Verlieren eines Spiels einen Wutanfall bekommt, sage: „Ich weiß, dass es schwer ist zu verlieren und sich schlecht zu fühlen.“ Erkläre dann aber auch, dass es nicht in Ordnung ist, das Spielzeug zu zerstören.
- Pausen lehren: Kinder, die Schwierigkeiten mit der Selbstregulation haben, müssen lernen, wie wichtig es ist, eine Pause einzulegen, um sich abzukühlen. Vereinbare mit deinem Kind einen Ort, an den es sich zurückziehen kann, wenn es wütend oder frustriert ist. Biete ihm alternative Beschäftigungen an, die ihm helfen, sich zu beruhigen, wie Malen, Lesen oder Musik hören.
- Achtsamkeit üben: Achtsamkeitstechniken können helfen, Emotionen zu regulieren und Stress abzubauen. Übe mit deinem Kind Atemübungen, Meditation oder einfache Yoga-Posen. Auch das Wiederholen eines beruhigenden Wortes oder Satzes (Mantra) kann helfen, den Fokus neu auszurichten.
- Selbst ruhig bleiben: Du kannst kein Feuer mit Feuer bekämpfen. Wenn du selbst wütend oder gestresst bist, wird es deinem Kind schwerfallen, sich zu beruhigen. Versuche, Ruhe in die Situation zu bringen, auch wenn es schwerfällt. Denke daran: Ruhiges Verhalten ist ansteckend.
- Realistisch sein: Es ist normal, dass Kinder Schwierigkeiten mit der Selbstregulation haben. Je jünger das Kind, desto größer die Herausforderung. Auch Kinder, die sehr intensiv fühlen, haben es oft schwerer. Versuche, geduldig und mitfühlend zu reagieren, auch wenn es frustrierend ist.
- Erfolge feiern: Achte auf die kleinen Fortschritte deines Kindes und lobe es dafür. Wenn es normalerweise haut, aber sich in einer schwierigen Situation zurückhält, lobe es für diese Leistung. Positive Verstärkung motiviert und stärkt das Selbstvertrauen.
Indem Mütter diese Strategien in ihren Alltag integrieren, können sie ihren Kindern helfen, die Fähigkeit zur Selbstregulation zu entwickeln. Es ist ein Prozess, der Zeit, Geduld und viel Liebe erfordert, aber die Mühe lohnt sich.
Wann ist professionelle Hilfe notwendig?
Es gibt Situationen, in denen die Bemühungen der Eltern nicht ausreichen und professionelle Hilfe erforderlich ist. Wenn die Wutanfälle immer heftiger werden, wenn das Kind sich selbst oder andere gefährdet oder wenn keine Fortschritte erkennbar sind, ist es ratsam, einen Kinderarzt oder einen Therapeuten zu konsultieren. Auch wenn du als Mutter das Gefühl hast, mit der Situation überfordert zu sein, ist es wichtig, sich Unterstützung zu suchen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke, sich Hilfe zu holen.
Die professionelle Unterstützung kann in verschiedenen Formen erfolgen, von Einzeltherapien für das Kind bis hin zu Familiensitzungen, die darauf abzielen, die Kommunikation und das Verständnis innerhalb der Familie zu verbessern. Therapeuten können spezifische Techniken und Strategien vermitteln, die auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten sind, und Eltern dabei unterstützen, diese im Alltag umzusetzen. Darüber hinaus kann eine professionelle Beratung helfen, zugrunde liegende Ursachen für die Schwierigkeiten bei der Selbstregulation zu identifizieren und anzugehen, wie beispielsweise ungelöste Konflikte oder traumatische Erfahrungen.
Manchmal kann es auch hilfreich sein, sich mit anderen Eltern auszutauschen, die ähnliche Erfahrungen machen. Selbsthilfegruppen oder Online-Foren bieten eine Plattform, um sich gegenseitig zu unterstützen, Erfahrungen zu teilen und voneinander zu lernen. Der Austausch mit anderen kann dazu beitragen, das Gefühl der Isolation zu verringern und neue Perspektiven auf die Herausforderungen der Kindererziehung zu gewinnen.
Fazit: Selbstregulation als Schlüsselkompetenz für das Leben
Selbstregulation ist eine entscheidende Fähigkeit, die Kindern hilft, ihre Emotionen zu kontrollieren, mit Stress umzugehen und gesunde Beziehungen aufzubauen. Mütter spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung dieser Fähigkeit, indem sie ein unterstützendes Umfeld schaffen, die Gefühle ihrer Kinder validieren und ihnen konkrete Strategien zur Emotionsregulation vermitteln. Es ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert, aber die Investition lohnt sich, denn Selbstregulation ist eine Schlüsselkompetenz für ein erfülltes und erfolgreiches Leben. Wenn Schwierigkeiten auftreten und die elterlichen Bemühungen nicht ausreichen, ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denke daran: Du bist nicht allein, und es gibt viele Ressourcen, die dir und deinem Kind helfen können.
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