Achtsamkeit im Gespräch: Wie Worte Kinder prägen

Der Alltag mit Kindern ist oft ein Balanceakt zwischen Liebe, Geduld und den Herausforderungen des Lebens. Zwischen Windelwechseln, Hausaufgaben und dem abendlichen Vorlesen bleibt oft wenig Zeit für uns selbst. Und dann sind da noch die Gespräche mit anderen Eltern, Erziehern oder Freunden, in denen wir über unsere Kinder sprechen. Doch wie achtsam sind wir dabei wirklich? Welche Auswirkungen haben unsere Worte auf die kleinen Persönlichkeiten, die wir so lieben?

Wenn Worte wie kleine Nadelstiche wirken

Stell dir vor, du stehst auf dem Spielplatz, umgeben von anderen Müttern und Vätern. Die Sonne scheint, die Kinder toben, und du unterhältst dich angeregt über die kleinen und großen Herausforderungen des Elternseins. „Lea ist momentan super anstrengend“, hörst du eine Mutter sagen. „Theo kriegt den Mund vor anderen wirklich gar nicht auf“, klagt ein Vater. Und eine andere Mutter seufzt: „Marie stellt sich bei jedem Pups wie eine Diva an.“ Solche Aussagen sind schnell gesagt, oft ohne böse Absicht. Doch was bewirken sie in den Ohren unserer Kinder?

Es ist verständlich, dass wir uns austauschen und unseren Frust teilen wollen. Der Austausch mit anderen Eltern kann ungemein hilfreich sein, um sich verstanden zu fühlen und neue Perspektiven zu gewinnen. Wir wollen wissen, ob andere Eltern ähnliche Erfahrungen machen, ob das Verhalten unseres Kindes „normal“ ist. Aber gerade in solchen Momenten sollten wir uns bewusst machen, dass unsere Kinder oft mithören und dass unsere Worte eine tiefgreifende Wirkung haben können.

Wie oft hast du dich selbst dabei ertappt, über deinen eigenen Nachwuchs zu sprechen, während dieser in Hörweite war? Vielleicht wolltest du nur kurz die Erzieherin informieren, dass dein Kind schlecht geschlafen hat, oder du hast dich bei einem Treffen mit Freunden über die neuesten Eskapaden deines Sohnes amüsiert. Doch was, wenn diese Bemerkungen dein Kind verletzen oder sein Selbstbild negativ beeinflussen?

Achtsamkeit im Gespräch

Achtsamkeit im Gespräch

Die Macht der Worte: Wie Kinder ihr Selbstbild formen

Kinder sind wie kleine Schwämme, die alles um sich herum aufsaugen. Sie beobachten uns, ihre Eltern, ganz genau und lernen von uns. Unsere Worte sind dabei ein mächtiges Werkzeug, das ihr Selbstbild formt. Positive Worte können ihr Selbstvertrauen stärken und ihnen das Gefühl geben, geliebt und wertgeschätzt zu werden. Negative Worte hingegen können tiefe Wunden hinterlassen und ihr Selbstwertgefühl untergraben.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Kinder bereits in jungen Jahren sehr viel verstehen, auch wenn sie sich noch nicht verbal ausdrücken können. Sie spüren die Stimmung, die in der Luft liegt, und nehmen die Botschaften wahr, die wir aussenden. Die Kleinkindpädagogin Susanne Mierau hat es treffend formuliert:

Kinder hören nicht nur, sondern bilden über das, was wir sagen, ein Bild von sich selbst aus.

Wenn wir also ständig über die vermeintlichen Schwächen und Fehler unseres Kindes sprechen, kann es passieren, dass es diese Zuschreibungen verinnerlicht und sie als Teil seiner Identität annimmt. Es beginnt, sich selbst mit den Augen anderer zu sehen und verliert möglicherweise den Zugang zu seinem eigenen, authentischen Selbst.

Eine Studie der Universität Tübingen hat gezeigt, dass Kinder, über die in ihrer Anwesenheit negativ gesprochen wird, häufiger unter Angstzuständen und Depressionen leiden. Sie entwickeln ein geringeres Selbstwertgefühl und haben Schwierigkeiten, positive Beziehungen zu anderen aufzubauen. Die Forscher betonen, dass es entscheidend ist, Kindern das Gefühl zu geben, bedingungslos geliebt und akzeptiert zu werden, unabhängig von ihren Fehlern und Schwächen.

Vorsicht vor Etiketten: Wenn „süß“ und „schüchtern“ zur Last werden

Nicht nur negative, sondern auch vermeintlich positive Beschreibungen können problematisch sein, wenn sie zu Etiketten werden. „Ach, sie ist so eine süße kleine Maus, einfach immer so lieb“, ist ein Satz, den viele Eltern liebevoll über ihre Töchter sagen. Doch was passiert, wenn das Kind immer nur als „lieb“ und „süß“ wahrgenommen wird? Es läuft Gefahr, diese Erwartungshaltung unbewusst erfüllen zu wollen und seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu unterdrücken.

Wer ständig „nervig“, „zu laut“, „zu schüchtern“ oder eben „immer nur süß“ ist, verinnerlicht das irgendwann als Teil von sich selbst. Die Zuschreibung wird so nicht nur manchmal zur selbsterfüllenden Prophezeiung, sondern kann auch die freie Entfaltung einschränken, wenn die Persönlichkeit des Kindes auf bestimmte Aspekte reduziert wird. Es ist wichtig, Kinder in ihrer ganzen Vielfalt und Einzigartigkeit anzuerkennen und ihnen den Raum zu geben, sich frei zu entfalten, ohne sich an vorgegebene Rollenbilder anpassen zu müssen.

Hier eine kurze Liste von Beispielen, die zeigen, wie schnell Kinder durch unachtsame Äußerungen ein falsches Selbstbild entwickeln können:

  • Das schüchterne Kind: „Ach, der/die ist immer so schüchtern.“ – Das Kind lernt, dass Schüchternheit ein fester Bestandteil seiner Persönlichkeit ist und traut sich weniger zu, aus sich herauszugehen.
  • Der/Die Klassenclown: „Er/Sie macht immer nur Quatsch.“ – Das Kind fühlt sich in der Rolle des Spaßmachers gefangen und wird nicht ernst genommen.
  • Das brave Mädchen/Der brave Junge: „Sie/Er ist immer so brav.“ – Das Kind lernt, dass es nur geliebt wird, wenn es gehorsam ist und unterdrückt seine eigenen Bedürfnisse.
  • Der/Die Sportliche: „Er/Sie ist ja so sportlich!“ – Das Kind definiert sich nur noch über seine sportlichen Leistungen und vernachlässigt andere Talente.

Achtsam sprechen, Kinder stärken: Tipps für den Alltag

Wie können wir also achtsamer über unsere Kinder sprechen und ihnen helfen, ein gesundes Selbstbild zu entwickeln? Hier sind einige Tipps, die du im Alltag umsetzen kannst:

  • Sei dir deiner Worte bewusst: Bevor du etwas über dein Kind sagst, überlege kurz, wie es sich dabei fühlen könnte. Wähle deine Worte sorgfältig und versuche, respektvoll und neutral zu formulieren.
  • Sprich über Verhaltensweisen, nicht über Eigenschaften: Anstatt zu sagen: „Du bist so unordentlich!“, sage lieber: „Ich sehe, dass deine Spielsachen noch herumliegen. Könntest du sie bitte aufräumen?“
  • Lobe Anstrengung, nicht nur Ergebnisse: Anstatt zu sagen: „Du bist so klug!“, sage lieber: „Ich bin stolz darauf, wie viel Mühe du dir bei dieser Aufgabe gegeben hast.“
  • Sei ein Vorbild: Sprich auch über andere Menschen respektvoll und vermeide es, über sie zu lästern.
  • Korrigiere dich, wenn du etwas Falsches gesagt hast: Wenn dir im Nachhinein auffällt, dass du etwas gesagt hast, das dein Kind verletzen könnte, entschuldige dich und erkläre ihm, was du eigentlich gemeint hast.
  • Stehe für dein Kind ein: Wenn andere Menschen negativ über dein Kind sprechen, nimm es in Schutz und zeige ihm, dass du auf seiner Seite bist.

Denke daran, dass es nicht darum geht, perfekt zu sein. Wir alle machen Fehler, und das ist in Ordnung. Wichtig ist, dass wir uns unserer Worte bewusst sind und uns bemühen, achtsamer zu sprechen. Denn unsere Worte haben Macht – die Macht, Kinder zu verletzen oder zu stärken, ihr Selbstbild zu zerstören oder aufzubauen.

Fazit: Achtsamkeit als Schlüssel zu einer starken Kinderseele

Achtsamkeit im Umgang mit Sprache ist ein entscheidender Faktor für die gesunde Entwicklung unserer Kinder. Es geht darum, sich der Wirkung unserer Worte bewusst zu sein und wie sie das Selbstbild und das Selbstwertgefühl der Kleinen beeinflussen können. Negative Bemerkungen, selbst wenn sie unbeabsichtigt sind, können tiefe Wunden hinterlassen, während positive und unterstützende Worte das Selbstvertrauen stärken und die Persönlichkeitsentwicklung fördern. Es ist wichtig, nicht nur auf die Wahl der Worte zu achten, sondern auch auf die Art und Weise, wie wir über unsere Kinder in ihrer Gegenwart sprechen. Indem wir respektvoll und wertschätzend kommunizieren, schaffen wir eine Umgebung, in der sich Kinder geliebt, akzeptiert und ermutigt fühlen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Achtsamkeit in der Sprache ist somit ein Schlüssel zu einer starken und gesunden Kinderseele.

QUELLEN

Eltern.de

Lese auch