Wie wir unsere Kinder vor Missbrauch schützen und stärken können

Es ist ein Gefühl, das wohl jede Mutter kennt: Die unendliche Sehnsucht, das eigene Kind vor allen Gefahren dieser Welt zu beschützen. Doch in einer Zeit, in der die Nachrichten täglich von neuen Bedrohungen berichten, stellt sich unweigerlich die Frage: Wie können wir unsere Kinder wirklich stark machen und ihnen gleichzeitig die Geborgenheit bieten, die sie so dringend brauchen?

Die Angst, die jede Mutter kennt

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als meine älteste Tochter das erste Mal alleine zur Schule ging. Plötzlich war sie da draußen, in dieser riesigen, unübersichtlichen Welt, und ich konnte sie nicht mehr an der Hand nehmen. Die Sorgen, die mich in dieser Zeit plagten, waren vielfältig: Würde sie sicher über die Straße kommen? Würde sie sich in der großen Pause wohlfühlen? Würde sie von Fremden angesprochen werden? Es sind Ängste, die tief in uns Müttern verwurzelt sind, denn wir tragen die Verantwortung für das wertvollste Gut, das wir haben: unsere Kinder. Aber was ist der richtige Weg, um mit diesen Ängsten umzugehen? Wie können wir unsere Kinder beschützen, ohne sie in einem goldenen Käfig einzusperren?

Die Statistiken sind erschreckend und machen deutlich, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema Kinderschutz auseinanderzusetzen: In jeder Schulklasse erlebt statistisch gesehen ein Kind sexualisierte Gewalt. Und noch schockierender ist die Tatsache, dass die Täter in den meisten Fällen aus dem engsten Familien- und Bekanntenkreis stammen. Väter, Stiefväter, Onkel, Opas – die Liste der potenziellen Täter ist lang und beängstigend. Umso wichtiger ist es, als Eltern wachsam zu sein und die Zeichen richtig zu deuten.

Doch was bedeutet das konkret? Wie können wir unsere Kinder vor Missbrauch schützen und ihnen gleichzeitig eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen? Die Antwort ist komplex und erfordert ein Umdenken in unserer Erziehung.

Mama-Tipps: Die innige Umarmung zwischen Mutter und Kind symbolisiert die tiefe Bindung, die für das Wohlbefinden des Kindes unerlässlich ist.

Mama-Tipps: Die innige Umarmung zwischen Mutter und Kind symbolisiert die tiefe Bindung, die für das Wohlbefinden des Kindes unerlässlich ist.

Die Bedeutung von Respekt und Grenzen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe, ist die Bedeutung von Respekt und Grenzen. Es beginnt schon in den kleinen, alltäglichen Situationen, in denen wir oft unbewusst die Grenzen unserer Kinder überschreiten. Denken wir nur an das Beispiel mit der Gemeinschaftsdusche nach dem Schwimmkurs. Wie oft haben wir unsere Kinder schon gedrängt, sich in der Dusche umzuziehen, obwohl sie sich unwohl gefühlt haben? Es sind diese kleinen Grenzüberschreitungen, die sich summieren und unseren Kindern das Gefühl geben, dass ihre Bedürfnisse nicht wichtig sind.

Tanja von Bodelschwingh von N.I.N.A. e.V., der Nationalen Informations- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend, betont, dass eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen für jede Art von Missbrauch darin besteht, die Grenzen der Kinder zu respektieren, feinfühlig zu sein, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und aufmerksam zu sein. Und genau hier liegt der Schlüssel: Wir müssen lernen, die Signale unserer Kinder zu deuten und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.

Es geht darum, eine Erziehungshaltung einzunehmen, die auf Respekt, Empathie und Vertrauen basiert. Wir müssen unseren Kindern das Gefühl geben, dass sie uns alles erzählen können, ohne Angst vor Verurteilung oder Ablehnung. Und wir müssen ihnen beibringen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und zu verteidigen.

Die wichtigste Präventionsmaßnahme für jede Art von Missbrauch ist, die Grenzen der Kinder zu respektieren, feinfühlig zu sein, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und aufmerksam zu sein.

Wie wir unsere Kinder stark machen

Schon kleinen Kindern kann man wichtiges Handwerkszeug an die Hand geben, ohne ständig über das Thema Missbrauch zu sprechen. Wichtiger ist es, schon die Kleinsten in ihrem Selbst zu stärken und ihnen Worte für Körperteile und Gefühle zu geben und die Erlaubnis, Dinge nicht zu tun, die sie nicht tun möchten. Auch, wenn das im Zweifel heiße, sich mal vor die Familie zu stellen und zu sagen: „Meine Tochter mag es nicht von allen umarmt und geküsst zu werden.“ Das vorzuleben und in Anwesenheit der Kinder zu sagen „Lass das mal, sie möchte nicht auf den Schoss“, mache klar, dass auch in der Familie Grenzen respektiert werden müssen. Das seien die Stellschrauben von uns als Eltern zu sagen: „Okay, du findest das unangenehm, dann finden wir jetzt einen anderen Weg“. Es geht darum, unseren Kindern das Gefühl zu geben, dass sie selbstbestimmt sind und dass ihre Meinung zählt. Wir müssen ihnen beibringen, „Nein“ zu sagen und ihre Grenzen zu verteidigen – auch gegenüber Erwachsenen.

Wenn Kinder sich plötzlich verändern oder von heute auf morgen nicht mehr zu Oma und Opa, zum Gitarrenunterricht oder zum Handball wollen, solle man das ernst nehmen und das Kind nicht zwingen. Auch nicht, wenn es für uns Erwachsene möglicherweise unangenehme Konsequenzen haben könnte. „Hier ist es wichtig, für das Kind einzustehen und zu signalisieren: Wenn du darüber reden möchtest, bin ich da. Bitte nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber Gesprächsangebote machen und vor allem hinhören, was Kinder sagen.“ Auffällig sei es, so erklärt sie, wenn Kinder über bestimmte Sachen nicht gerne sprechen oder man das Gefühl habe, da ist ein Geheimnis in der Luft. Geht man dann darüber hinweg, tut es als Phase ab oder zwingt das Kind, dennoch beispielsweise zu Oma und Opa zu gehen, signalisiert man möglicherweise, man interessiere sich nicht für sie und nehme sie nicht ernst.

Viele Kinder haben das Gefühl: ‚Jetzt habe ich doch schon gesagt, dass ich da nicht hin will und es wird gar nicht darauf reagiert‘. Das Kind hat vielleicht nicht gesagt, dass es dort von jemandem angefasst wird oder es immer komische Filme gucken muss. Aber wenn es trotzdem dahin muss, obwohl es sein Unwohlsein schon geäußert hat, dann wagt es möglicherweise keinen zweiten Anlauf mehr, weil es sich nicht gesehen und gehört fühlt.

Manche Kinder werden vielleicht dennoch nicht sagen, was los ist. Vielleicht aus Angst, aus Scham oder wegen Schuldgefühlen. Dann sollten Erwachsene auf ihr Gefühl hören. „Wenn ich den Eindruck habe, mein Kind kommt da nie gerne mit hin, vermeide ich das tatsächlich besser. Also nicht nur die Kinder ernst nehmen, sondern auch auf das eigene Bauchgefühl hören.“ 

Es ist wichtig, eine offene und vertrauensvolle Beziehung zu unseren Kindern aufzubauen. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir für sie da sind, egal was passiert ist. Und wir müssen ihnen versichern, dass sie keine Schuld tragen, wenn ihnen etwas Schlimmes widerfahren ist.

Eine offene Tür für Gespräche

„Egal, was du gemacht hast, wir finden immer eine Lösung!“ Dieser Satz sollte unser Leitmotiv sein, wenn es um die Erziehung unserer Kinder geht. Erwachsene sind nicht perfekt, natürlich machen wir auch Fehler, das ist normal und unvermeidbar. Wichtig sei es dann, sich zu entschuldigen, wenn man eine Grenze übertreten hat, auch mal zu sagen „Das war jetzt doof von mir, da habe ich nicht gut drauf geachtet.“ Und gleichzeitig eine gesunde Fehlerkultur zu leben. Dazu gehöre, über Fehler zu sprechen und das ganz bewusst in den Erziehungsalltag einzubauen und zu erklären: „Auch ich mache mal was falsch, aber egal, was du gemacht hast, wir finden immer eine Lösung.“ Denn wenn Kinder wissen, dass sie uns alles erzählen können, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen, sind sie viel eher bereit, sich uns anzuvertrauen, wenn ihnen etwas Schlimmes passiert ist.

Ein besonders wichtiger Punkt ist die Prävention im Bereich der digitalen Medien. Im Alltag erleben wir viele Situationen, in denen wir unseren Kindern gute Ratschläge, vielleicht auch Verbote zu ihrem eigenen Schutz mit auf den Weg geben, weil wir nicht wollen, dass ihnen etwas passiert. Beispielsweise sollen sie auf keinen Fall im Internet auf bestimmten Plattformen sein und schon gar nicht mit Personen schreiben, die man nicht kennt. Es ist normal, dass Eltern ihren Kindern solche Botschaften mitgeben. Dennoch sei es wichtig, eine Hintertür offen zu lassen und zu sagen, man könne immer über wirklich alles sprechen, auch wenn man einen Fehler gemacht hat. 

Viele Kinder trauen sich nämlich nicht mit ihren Eltern zu sprechen, schließlich hatten sie etwas ja genau aus dem Grund verboten, der nun tatsächlich eingetreten ist. Wichtig sei, eine Offenheit mitzugeben: „Mir ist es total wichtig, dass du weißt, dass da Risiken sind. Wenn du es dann trotzdem machst und es passiert etwas, bin ich sauer, aber wir finden gemeinsam eine Lösung. Immer, immer, immer.“

Es ist ein Balanceakt, unsere Kinder vor den Gefahren der Welt zu schützen und ihnen gleichzeitig die Freiheit zu geben, sich zu entfalten und ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Aber es ist ein Balanceakt, der sich lohnt. Denn nur wenn wir unseren Kindern das Gefühl geben, dass sie stark, selbstbestimmt und geliebt sind, können sie zu selbstbewussten und verantwortungsvollen Erwachsenen heranwachsen.

Die Rolle von Schulen und Kitas

Die Prävention von Missbrauch darf jedoch nicht nur in den Familien stattfinden. Auch Schulen und Kitas spielen eine wichtige Rolle beim Schutz unserer Kinder. Fahrradführerschein, Schwimmunterricht, Füller-Workshop – in den Schulen gibt es für vieles ein Angebot, um das Leben der Kinder sicherer zu machen. Man versucht an alles zu denken, aber die Prävention gegen sexualisierte Gewalt fällt oft hintenüber. Natürlich soll man den Kindern keine Angst machen, aber aufklären kann man auch altersgerecht und stärkend, sagt Tanja Bodelschwingh. 

Vor allem für betroffene Kinder sei dies ein wichtiges Zeichen: „Das Thema ist besprechbar und ich muss das nicht für mich behalten, sondern es gibt tatsächlich ein Problem, und ich bin vielleicht betroffen davon.“ Das sei wirklich entscheidend. Solche Präventionsveranstaltungen sind genau der Raum, den betroffene Kinder brauchen, denn dann „müssen sie nicht mehr den ganz großen Wurf machen. Sie müssen nicht zu irgendeiner Person gehen und Worte dafür finden, was ihnen passiert, sondern können sagen: ‚Das, was wir da gemacht haben in dem Projekt, das passiert mir auch‘. Damit schafft man eine Brücke.“

Wir brauchen Präventionsangebote in Kitas und Schulen, um:

  • Kinder über ihre Rechte aufzuklären
  • ihnen zu zeigen, wie sie sich vor Übergriffen schützen können
  • ihnen zu vermitteln, dass sie nicht allein sind, wenn ihnen etwas Schlimmes passiert
  • den betroffenen Kindern eine Anlaufstelle zu bieten, wo sie Hilfe und Unterstützung finden

Fazit: Ein Plädoyer für mehr Achtsamkeit

Die Sicherheit und das Wohlbefinden unserer Kinder stehen an erster Stelle. Es ist unsere Aufgabe, sie vor den Gefahren der Welt zu schützen und ihnen gleichzeitig eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Das erfordert ein Umdenken in unserer Erziehung, eine stärkere Fokussierung auf Respekt, Grenzen, Vertrauen und offene Kommunikation. Wir müssen lernen, die Signale unserer Kinder zu deuten, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie stark, selbstbestimmt und geliebt sind. Und wir müssen uns bewusst machen, dass die Prävention von Missbrauch nicht nur in den Familien stattfinden darf, sondern auch in Schulen und Kitas eine wichtige Rolle spielt. Nur gemeinsam können wir eine Gesellschaft schaffen, in der Kinder sicher und geborgen aufwachsen können.

QUELLEN

Eltern.de

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