Revenge Bedtime Procrastination: Warum Eltern zu spät ins Bett gehen

Es ist wieder einmal so weit: Der Tag neigt sich dem Ende, die Kinder schlafen, und eigentlich sollte man selbst auch ins Bett. Doch statt in die Kissen zu sinken, zückt man das Smartphone und verliert sich in den unendlichen Weiten von TikTok, Instagram oder Facebook. Aus „nur fünf Minuten“ werden schnell Stunden. Dieses Phänomen, das viele Eltern kennen, hat einen Namen: „Revenge Bedtime Procrastination“ – auf Deutsch etwa „Aufschieben des Schlafengehens aus Rache“. Aber was steckt dahinter und wie kann man dieser nächtlichen Gewohnheit entkommen?

Was ist „Revenge Bedtime Procrastination“?

Der Begriff „Revenge Bedtime Procrastination“ beschreibt das absichtliche Hinauszögern des Schlafengehens, um sich einen Teil der persönlichen Zeit zurückzuerobern. Geprägt wurde der Begriff von der Journalistin Daphne K. Lee und hat seinen Ursprung in dem chinesischen Ausdruck ‚bàofùxìng áoyè‘. Es ist die Zeit des Tages, in der man endlich das Gefühl hat, ungestört und ohne Verurteilung durch andere Freizeitaktivitäten nachgehen zu können. Dies kann das Scrollen in sozialen Medien, Fernsehen, ein Back- oder Hausprojekt sein – kurz gesagt, jede Aktivität, die dazu führt, dass man länger aufbleibt, als man eigentlich möchte. Besonders Eltern kennen dieses Gefühl nur zu gut.

Jessica Hunt, eine lizenzierte klinische Sozialarbeiterin aus Kalifornien, erklärt, dass Eltern oft aus Mangel an Freizeit während des Tages zu dieser Art der „Rache“ greifen. Die begrenzte Zeit für sich selbst fordert ihren Tribut vom allgemeinen Wohlbefinden, sodass jede Gelegenheit zur Entspannung und zum Alleinsein ergriffen wird – auch wenn es letztendlich nicht gesund ist. Dr. Aubrey Carpenter, eine klinische Psychologin aus Vermont, ergänzt, dass „Revenge Bedtime Procrastination“ besonders bei berufstätigen Eltern und/oder Eltern mit ADHS verbreitet ist, die möglicherweise mit Impulskontrolle, Hyperfokus und der Aufrechterhaltung gesunder Schlafgewohnheiten zu kämpfen haben.

Frau liegt im Bett und schaut aufs Smartphone

Schlafzimmer-Idylle

Dr. Catherine Nobile, Psychologin und Direktorin von Nobile Psychology, betont, dass Eltern durch das Aufschieben des Schlafengehens versuchen, ein Stück persönliche Freiheit und Autonomie zurückzugewinnen. Wenn der Alltag wenig Zeit für sich selbst lässt, wird die Nacht zur einzigen Möglichkeit, ungestört den eigenen Interessen nachzugehen. Es ist ein stiller Protest gegen die ständige Verfügbarkeit und die vielen Verpflichtungen des Elternseins.

Es ist ein stiller Protest gegen die ständige Verfügbarkeit und die vielen Verpflichtungen des Elternseins.

Viele Mütter kennen das: Der Tag ist vollgepackt mit Arbeit, Kinderbetreuung, Haushalt und den unzähligen kleinen und großen Aufgaben, die das Familienleben mit sich bringt. Da bleibt oft kaum Zeit für die eigenen Bedürfnisse. Der Abend, wenn die Kinder im Bett sind, scheint dann die einzige Möglichkeit zu sein, endlich etwas für sich zu tun. Doch anstatt sich zu entspannen und auszuruhen, verliert man sich in den digitalen Welten oder erledigt noch schnell ein paar Dinge, die liegen geblieben sind.

Die Schattenseiten der nächtlichen „Rache“

So verlockend die zusätzliche Zeit in der Nacht auch sein mag, die Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden sind nicht zu unterschätzen. Schlafmangel, ein geschwächtes Immunsystem und psychische Probleme können die Folge sein. Dr. Nobile warnt: „Ein anhaltender Mangel an ausreichend Ruhe kann das Immunsystem schwächen, wodurch man anfälliger für Krankheiten wird und das Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzerkrankungen steigt.“ Auch die kognitiven Fähigkeiten leiden unter Schlafmangel. Gedächtnis, Konzentration und Entscheidungsfindung können beeinträchtigt werden, was zu Schwierigkeiten bei der Erledigung alltäglicher Aufgaben und einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit führt.

Auch die emotionale und psychische Gesundheit kann unter der „Revenge Bedtime Procrastination“ leiden. Schlafmangel steht in Verbindung mit erhöhtem Stress, Angstzuständen und Depressionen. Die langfristigen Folgen des regelmäßigen Schlafopfers für die persönliche Zeit unterstreichen die Notwendigkeit, einer guten Schlafhygiene Priorität einzuräumen, um sowohl das körperliche als auch das geistige Wohlbefinden zu erhalten. Es ist ein Teufelskreis: Man schiebt den Schlaf auf, um sich zu entspannen, aber der Schlafmangel führt letztendlich zu noch mehr Stress und Erschöpfung.

Wege aus dem Teufelskreis: Tipps für besseren Schlaf

Es gibt verschiedene Strategien, um die „Revenge Bedtime Procrastination“ zu überwinden und wieder zu einem gesunden Schlafrhythmus zu finden. Eine Studie aus dem Jahr 2024 schlägt einen dualen Ansatz vor, der kognitive und verhaltensbezogene Techniken zur Reduzierung des Aufschiebens des Schlafengehens kombiniert. Dr. Carpenter empfiehlt die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), eine evidenzbasierte Intervention, die besonders hilfreich bei Schlaflosigkeit oder Angstzuständen und Stimmungsschwankungen sein kann, die den Schlaf inmitten der vielen Anforderungen des Elternseins beeinträchtigen können. KVT zielt darauf ab, Muster, negative Überzeugungen und maladaptive Bewältigungsstrategien zu identifizieren, die möglicherweise die Art und Weise beeinträchtigen, wie man seine Abende verbringen möchte.

Hier sind einige zusätzliche Tipps, die Ihnen helfen können, die „Revenge Bedtime Procrastination“ zu überwinden:

  • Schaffen Sie eine entspannende Schlafumgebung: Ein dunkles, kühles und ruhiges Schlafzimmer fördert den Schlaf.
  • Etablieren Sie eine feste Schlafroutine: Gehen Sie jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett und stehen Sie zur gleichen Zeit auf, auch am Wochenende.
  • Vermeiden Sie Bildschirme vor dem Schlafengehen: Das blaue Licht von Smartphones, Tablets und Computern kann die Melatoninproduktion stören und das Einschlafen erschweren.
  • Integrieren Sie entspannende Rituale: Ein warmes Bad, eine Tasse Kräutertee oder eine kurze Meditation können helfen, den Körper auf den Schlaf vorzubereiten.
  • Bewegung und frische Luft: Regelmäßige Bewegung und Aufenthalte im Freien können den Schlaf verbessern, sollten aber nicht kurz vor dem Schlafengehen erfolgen.

Dr. Nobile betont die Bedeutung einer gut gestalteten Schlafumgebung: „Eine dunkle, kühle und ruhige Umgebung erhöht den Komfort und minimiert Störungen.“ Andere entspannende Aktivitäten vor dem Schlafengehen, wie sanftes Dehnen, Lesen oder Meditieren, können Ihren Körper ebenfalls auf die Ruhe vorbereiten. Jessica Hunt fügt hinzu: „Gute Schlafgewohnheiten können Ihrem Körper (und Gehirn) signalisieren, dass es Zeit zum Schlafen ist. Dies kann es einfacher machen, dem Drang, lange aufzubleiben, zu widerstehen.“

Wann professionelle Hilfe ratsam ist

Wenn die „Revenge Bedtime Procrastination“ trotz aller Bemühungen anhält und das tägliche Leben erheblich beeinträchtigt, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dr. Nobile erklärt: „Wenn anhaltender Schlafmangel Ihre allgemeine Gesundheit, Stimmung oder kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt oder wenn Sie mit zunehmender Angst oder Stress im Zusammenhang mit Ihren Schlafmustern zu kämpfen haben, kann professionelle Beratung erforderlich sein. Wiederkehrende Schlafprobleme, die sich mit Standard-Schlafhygienetechniken nicht beheben lassen, sollten ebenfalls mit einem Arzt besprochen werden.“

Fazit: Schlaf ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit

Die „Revenge Bedtime Procrastination“ ist ein Phänomen, das viele Eltern kennen und das oft aus dem Wunsch nach mehr Freizeit und Autonomie entsteht. Doch die nächtliche „Rache“ hat ihren Preis: Schlafmangel, gesundheitliche Probleme und psychische Belastungen können die Folge sein. Es ist wichtig, sich dieser negativen Auswirkungen bewusst zu werden und aktiv gegenzusteuern. Mit einer guten Schlafhygiene, Entspannungstechniken und gegebenenfalls professioneller Hilfe kann man den Teufelskreis durchbrechen und wieder zu einem gesunden Schlafrhythmus finden. Denn Schlaf ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für ein gesundes und erfülltes Leben – gerade für Eltern, die täglich Höchstleistungen vollbringen.

QUELLEN

parents.com

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