Gastfamilie werden und kulturellen Austausch erleben

Gastfamilie werden: Kulturaustausch im eigenen Zuhause

Einen anderen Teil der Welt in den eigenen vier Wänden erleben – das ist möglich, wenn man Gastfamilie für einen Austauschschüler wird. Während viele Eltern davon träumen, dass ihre Kinder einmal als Austauschschüler ins Ausland gehen, vergessen sie oft die wunderbare Alternative: Die Welt zu sich nach Hause einzuladen. Für Familien mit Kindern bietet dieses Abenteuer nicht nur kulturellen Austausch, sondern auch eine einzigartige Bildungschance für alle Beteiligten. Was es bedeutet, Gastfamilie zu werden und wie Sie sich optimal darauf vorbereiten können, erfahren Sie in diesem Ratgeber.

Warum sollten Sie Gastfamilie werden?

Wenn Johanna ihrer Freundin Antje von ihrem unerfüllten Traum erzählt, ein Jahr in Australien zu leben, lacht Antje: „Wir haben uns entschieden, dass wir uns einfach die große weite Welt zu uns holen. Wir werden Gastfamilie.“ Diese Entscheidung eröffnet Familien die Chance, internationale Beziehungen zu knüpfen, ohne das eigene Zuhause verlassen zu müssen.

Als Gastfamilie profitieren Sie und Ihre Kinder in vielerlei Hinsicht: Sie erleben eine andere Kultur hautnah, verbessern möglicherweise Ihre Fremdsprachenkenntnisse und gewinnen neue Perspektiven auf Ihre eigenen Gewohnheiten und kulturellen Selbstverständlichkeiten. Für Kinder ist es besonders wertvoll, frühzeitig zu lernen, dass es verschiedene Lebensweisen gibt und Unterschiede bereichernd sein können.

Viele Familien berichten, dass sie durch die Aufnahme eines Gastkindes nicht nur ein neues Familienmitglied auf Zeit gewonnen haben, sondern auch langfristige internationale Freundschaften entstanden sind. Oft bleiben die Verbindungen über Jahre bestehen, und gegenseitige Besuche gehören dann zum festen Bestandteil des Familienlebens.

Besonders für Familien, deren eigene Kinder später einmal ins Ausland gehen möchten, bietet die Erfahrung als Gastfamilie wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Chancen eines Austauschjahrs.

Die ersten Wochen mit einem Austauschschüler

Wie bei Antjes Familie mit Julie aus Ohio können die ersten Wochen mit einem Austauschschüler von kleinen kulturellen Missverständnissen geprägt sein. Diese Phase ist normal und gehört zum interkulturellen Lernprozess dazu. Julie war beispielsweise überrascht von der deutschen Saunakultur und kannte das Radfahren als alltägliches Fortbewegungsmittel nicht.

Ein typisches Missverständnis ereignete sich bei der Familie rund um geschlossene Türen: Während in Deutschland geschlossene Türen zur Privatsphäre gehören, interpretierte Julie die geschlossene Wohnzimmertür als Signal, dass sie nicht erwünscht sei. In den USA lässt man Türen oft angelehnt, um zu signalisieren, dass der Raum für alle zugänglich ist.

Familie mit Austauschschüler am Esstisch
Schüleraustausch geht auch ohne Reisen

Auch Kommunikationsstile können unterschiedlich sein. Während Deutsche oft direkt kommunizieren, sind Menschen aus anderen Kulturen wie den USA häufig indirekter. Als Antje Julie bat, auf der Klarinette vorzuspielen, sagte diese höflich zu, meinte aber eigentlich „nein“. Solche Unterschiede zu verstehen, ist Teil des Lernprozesses für alle Beteiligten.

Ein Austauschschüler im eigenen Zuhause ermöglicht es der ganzen Familie, die eigene Kultur mit neuen Augen zu sehen und gleichzeitig eine fremde Welt kennenzulernen – ohne Reisekoffer zu packen.

Diese kleinen Herausforderungen machen den Reiz des kulturellen Austauschs aus. Sie helfen allen Familienmitgliedern, die eigenen kulturellen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und neue Perspektiven zu gewinnen. Warum halten wir das Besteck so, wie wir es halten? Warum sind einige Bundesländer so klein? Fragen wie diese, die Julie stellte, regen zum Nachdenken über die eigene Kultur an.

Die Rolle der Austauschorganisationen

Bei der Aufnahme eines Gastkindes spielen gemeinnützige Austauschorganisationen eine zentrale Rolle. Sie kümmern sich um die Vermittlung passender Gastfamilien und Schüler, unterstützen bei bürokratischen Angelegenheiten und stehen bei Fragen oder Problemen zur Seite.

Die seriösen gemeinnützigen Organisationen sind im Dachverband AJA (Arbeitskreis gemeinnütziger Austauschorganisationen) zusammengeschlossen. Dazu gehören bekannte Namen wie Youth for Understanding (YFU), Experiment e.V. oder AFS Interkulturelle Begegnungen. Diese Organisationen arbeiten nach festgelegten Qualitätsstandards und bieten eine gute Betreuung sowohl für die Gastfamilien als auch für die Austauschschüler.

Vor der Ankunft des Gastkindes gibt es in der Regel Informationsabende und Vorbereitungstreffen. Während des Austauschjahres finden regelmäßige Treffen statt, bei denen sich Gastfamilien untereinander austauschen können. Außerdem gibt es persönliche Betreuer, die bei Problemen oder Fragen zur Verfügung stehen.

Diese Unterstützungsstruktur ist besonders wichtig, wenn kulturelle Missverständnisse auftreten oder die Integration des Gastkindes nicht reibungslos verläuft. Die Betreuer können dann vermitteln und helfen, Lösungen zu finden.

Leitfaden für angehende Gastfamilien: Was Sie wissen sollten

Die Entscheidung, Gastfamilie zu werden, bringt viele Fragen mit sich. Dieser Leitfaden fasst die wichtigsten Aspekte zusammen und bietet Ihnen eine praktische Orientierung.

Voraussetzungen für Gastfamilien

Eine der häufigsten Fragen ist: „Sind wir als Familie geeignet?“ Die gute Nachricht: Prinzipiell kann jede Familie Gastfamilie werden. Ob klassische Familie, Alleinerziehende, Patchwork- oder Regenbogenfamilien – entscheidend sind ein herzliches Willkommen und ein freies Bett für den Gastschüler. Das Zimmer kann auch mit einem gleichaltrigen Kind geteilt werden, sofern dieses einverstanden ist.

Es ist nicht notwendig, dass Sie ein Kind im gleichen Alter haben. Auch Familien mit kleineren Kindern, erwachsenen Kindern oder ohne Kinder können Gastfamilien werden. Die Austauschorganisationen achten darauf, dass die Austauschschüler aus einem Umfeld kommen, das zu ihrer Familiensituation passt.

Kosten und finanzielle Aspekte

Gastfamilien nehmen die Austauschschüler unentgeltlich auf. Sie stellen Unterkunft und Verpflegung (drei Mahlzeiten täglich) zur Verfügung. Für alle weiteren Kosten wie Taschengeld, Kleidung, Schulmaterial und öffentliche Verkehrsmittel kommen in der Regel die leiblichen Eltern oder in Einzelfällen die Austauschorganisation auf.

Wenn Sie sich Sorgen um zusätzliche Kosten machen, können Sie dies vorab mit der Austauschorganisation besprechen. Es gibt klare Vereinbarungen darüber, wer welche Kosten trägt, um spätere Missverständnisse zu vermeiden.

Formale Angelegenheiten und Versicherung

Gastschüler, die über eine der großen Organisationen im AJA-Dachverband kommen, haben einen ausreichenden Versicherungsschutz. Sie sind haftpflicht-, unfall- und krankenversichert – entweder über die Austauschorganisation oder über ihre leiblichen Eltern.

Die Gastschüler sind in Deutschland schulpflichtig und besuchen eine Schule in Ihrer Nähe. Die Gastfamilie schlägt in der Regel eine passende Schule vor, während die offizielle Anmeldung von der Austauschorganisation übernommen wird.

Nach der Ankunft muss der Gastschüler beim Einwohnermeldeamt registriert werden. Nicht-europäische Schüler benötigen zudem eine Aufenthaltserlaubnis. Die Austauschorganisation stellt alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung, die Anmeldung vor Ort muss jedoch von der Gastfamilie durchgeführt werden.

Umgang mit Problemen und Konflikten

Trotz sorgfältiger Vorbereitung und Vermittlung kann es zu Problemen oder Konflikten kommen. In solchen Fällen stehen den Gastfamilien und Gastschülern persönliche Betreuer zur Seite – meist ehrenamtliche Mitarbeiter der Austauschorganisation, die selbst Erfahrung als Austauschschüler oder Gasteltern haben.

Wichtig ist, auch kleine Probleme frühzeitig anzusprechen, damit gemeinsam eine Lösung gefunden werden kann. Falls Gastschüler und Gastfamilie gar nicht zusammenpassen, wird der Austauschschüler in einer Ersatzfamilie untergebracht – er muss nicht vorzeitig in sein Heimatland zurückkehren.

Dauer und Vorbereitung

Die Dauer eines Schüleraustauschs variiert. Neben kurzen Austauschbesuchen von einigen Wochen, die oft über Schulen organisiert werden, kommen viele Austauschschüler für ein ganzes Schuljahr. Es gibt auch Programme mit kürzeren Aufenthalten von drei oder sechs Monaten.

Die Vorbereitung beginnt in der Regel mit Informationsmaterial und einem Besuch von Mitarbeitern der Austauschorganisation. Zusätzlich gibt es regionale Vorbereitungstreffen, bei denen sich zukünftige Gastfamilien kennenlernen können. Diese Treffen bieten die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich mit anderen Familien auszutauschen, die vor der gleichen Entscheidung stehen.

weiterführende Quellen zum Thema

  • YFU: Gastfamilie werden – Erfahrungsberichte
    Diese Seite bietet authentische Berichte von Gastfamilien und Austauschschüler*innen, die wertvolle Einblicke in den Alltag und die Herausforderungen eines Schüleraustauschs geben. YFU ist eine etablierte und anerkannte gemeinnützige Organisation, was die Vertrauenswürdigkeit der Inhalte unterstreicht.
  • Ayusa International: Erfahrungen von Gastfamilien und Teilnehmenden
    Ayusa International stellt vielfältige Erfahrungsberichte zur Verfügung, die reale Situationen und Lösungsansätze im Schüleraustausch beleuchten. Als erfahrene Austauschorganisation ist die Quelle fundiert und praxisnah.
  • Experiment e.V.: Erlebnisse bei deutschen Gastfamilien
    Ein persönlicher Erfahrungsbericht einer Austauschschülerin, der die interkulturellen Begegnungen und den Alltag in einer deutschen Gastfamilie beschreibt. Experiment e.V. ist eine seriöse und langjährig tätige Organisation im Bereich Schüleraustausch.
  • Auf in die Welt: Erfahrungen eines amerikanischen Austauschschülers in Deutschland
    Dieser Artikel schildert die Perspektive eines amerikanischen Jugendlichen im Schüleraustausch und zeigt kulturelle Unterschiede sowie Alltagsbezüge auf. „Auf in die Welt“ bietet gut recherchierte Inhalte rund um Auslandsaufenthalte.
  • Schueleraustausch-Forum: Erfahrungsbericht einer Gastfamilie
    Ein offener und ehrlicher Erfahrungsbericht einer Gastfamilie, die mit einer Überraschung hinsichtlich der Persönlichkeit eines Austauschschülers konfrontiert wurde. Das Forum bietet authentische Einblicke aus erster Hand und eignet sich für Familien, die sich umfassend informieren möchten.
  • Arbeitskreis gemeinnütziger Austauschorganisationen (AJA)
    Der Dachverband der gemeinnützigen Austauschorganisationen in Deutschland informiert über die Standards und Qualitätskriterien für Schüleraustauschprogramme. Die Seite ist eine wichtige Anlaufstelle für seriöse und gut organisierte Austauschprogramme und Gastfamilien.

So bereiten Sie Ihre Familie auf die neue Situation vor

Die Aufnahme eines Gastkindes verändert die Familiendynamik. Eine gute Vorbereitung hilft, diese Veränderungen positiv zu gestalten. Beziehen Sie alle Familienmitglieder in die Entscheidung ein und besprechen Sie offen, was sich im Alltag ändern wird.

Informieren Sie sich vorab über die Kultur des Gastkindes. Welche Besonderheiten gibt es bei Essgewohnheiten, Kommunikation oder Alltagsritualen? Dies hilft, erste kulturelle Missverständnisse zu vermeiden oder zumindest besser einzuordnen.

Überlegen Sie gemeinsam, wie Sie dem Gastkind den Einstieg erleichtern können. Ein kleines Willkommensgeschenk, ein Stadtplan mit markierten wichtigen Orten oder ein Familienalbum zum Kennenlernen der erweiterten Familie können gute Anfänge sein.

Klären Sie auch praktische Fragen: Wie werden Haushaltsaufgaben verteilt? Welche Regeln gelten für alle? Welche Freiräume gibt es? Je klarer diese Dinge vorab besprochen sind, desto weniger Konflikte entstehen später.

Langfristige Beziehungen aufbauen

Ein Austauschjahr geht vorüber, aber die Beziehungen können ein Leben lang halten. Viele Gastfamilien berichten von dauerhaften Freundschaften mit ihren ehemaligen Gastkindern. Aus dem temporären Familienmitglied wird ein lebenslanger Freund der Familie.

Antje erzählt, dass sie von Julies Eltern einen Haustürschlüssel für deren Haus bekommen haben: „Wir sollen uns da als Teil der Familie fühlen.“ Diese symbolische Geste zeigt, wie aus einem Austausch eine langfristige Verbindung zwischen Familien entstehen kann.

Nach dem Austauschjahr können regelmäßige Videoanrufe, gegenseitige Besuche in den Ferien oder gemeinsame Reisen die Beziehung aufrechterhalten. Besonders für die eigenen Kinder ist es bereichernd, eine „internationale Schwester“ oder einen „internationalen Bruder“ zu haben.

Einige Familien entscheiden sich nach positiven Erfahrungen auch dafür, wiederholt Gastfamilie zu werden. So entstehen über die Jahre internationale Netzwerke, die das Familienleben dauerhaft bereichern.

Fazit: Ein Gewinn für die ganze Familie

Gastfamilie zu werden ist ein Abenteuer, das die ganze Familie bereichert. Es bietet die Chance, eine andere Kultur hautnah zu erleben, ohne das eigene Zuhause verlassen zu müssen. Gleichzeitig eröffnet es die Möglichkeit, die eigene Kultur und Lebensweise mit neuen Augen zu sehen.

Die Herausforderungen, die dabei auftreten können – seien es Sprachbarrieren, kulturelle Missverständnisse oder unterschiedliche Erwartungen – sind Teil des interkulturellen Lernprozesses. Mit Offenheit, Geduld und der Unterstützung einer seriösen Austauschorganisation lassen sich diese Herausforderungen meistern.

Wie Johanna, die nach dem Gespräch mit ihrer Freundin Antje sofort mit ihrer Familie über die Möglichkeit sprach, Gastfamilie zu werden, können auch Sie diesen Schritt wagen. Vielleicht entdecken Sie dabei, dass das Abenteuer „Schüleraustausch“ direkt vor Ihrer Haustür beginnen kann.

QUELLEN

ElternLeben.de

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