Auf dem Spielplatz, im Kindergarten oder auf Instagram – überall scheint sich der Trend zum dritten Kind zu manifestieren. War es früher eher die Ausnahme, so ist es heute fast schon ein Statussymbol. Doch was steckt wirklich hinter diesem Phänomen? Ist es ein gesellschaftlicher Wertewandel, der sich hier vollzieht, oder spielen andere Faktoren eine Rolle?
Der Traum von der Großfamilie: Mehr als nur ein Trend?
Die Vorstellung von einer großen Familie, mit lebendigem Trubel und vielen helfenden Händen, übt auf viele Menschen eine große Anziehungskraft aus. Prominente Beispiele wie Fußballstar Lukas Podolski oder Influencerin Anne Wünsche, die sich bewusst für ein drittes Kind entschieden haben, tragen sicherlich dazu bei, dass dieses Familienmodell in der öffentlichen Wahrnehmung positiver besetzt ist. Doch ist das wirklich ein Trend, der sich in der Breite der Gesellschaft durchsetzt? Oder handelt es sich eher um eine Modeerscheinung, die vor allem in bestimmten Bevölkerungsgruppen zu beobachten ist?
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2022, die einen Anstieg der Geburten dritter Kinder in Deutschland meldeten, scheinen diese Entwicklung zu bestätigen. Allerdings muss man diese Zahlen differenziert betrachten. Ein kurzfristiger Anstieg bedeutet noch keine langfristige Trendwende. Zudem spielen regionale Unterschiede und sozioökonomische Faktoren eine wichtige Rolle.
Ein weiterer Aspekt, der den Wunsch nach einem dritten Kind beeinflussen kann, ist das Geschlecht der bereits vorhandenen Kinder. Eine skandinavische Studie hat gezeigt, dass Eltern, die bereits zwei Kinder gleichen Geschlechts haben, sich eher ein drittes Kind wünschen – in der Hoffnung, dass dieses dann das andere Geschlecht hat. Dies zeigt, dass auch in einer Gesellschaft, die sich Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, traditionelle Vorstellungen von Familie und Geschlecht weiterhin eine Rolle spielen.
Wenn Kopf und Herz im Clinch liegen
Der Wunsch nach einem dritten Kind ist oft ein emotionaler Prozess, der jedoch auch rationale Überlegungen mit sich bringt. Fragen nach der finanziellen Situation, der Wohnsituation, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der eigenen Zeit spielen eine entscheidende Rolle. In Internetforen werden diese Fragen leidenschaftlich diskutiert. Paare tauschen sich über ihre Ängste, Hoffnungen und Erfahrungen aus und suchen nach Antworten, die ihnen bei ihrer Entscheidung helfen.
Cornelia Dittrich, Mutter von drei Kindern, beschreibt ihre Entscheidung für ein drittes Kind als ein Bauchgefühl: „Wir hatten einfach das Gefühl, an unserem Tisch ist noch ein Platz frei. Und in unseren Herzen auch. Seit Johann da ist, fühlen wir uns tatsächlich komplett.“ Diese Aussage verdeutlicht, dass es oft eine intuitive Entscheidung ist, die auf dem Wunsch nach familiärer Vollständigkeit basiert.
Cornelia betont auch, wie wichtig es ist, sich als Elternpaar bewusst zu sein, dass ein weiteres Kind zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt. Eine gerechte Verteilung des Mental Load und die Planung von Zeit, die jeder Elternteil mit einem der Kinder alleine verbringt, sind wichtige Faktoren, um die Balance in der Familie zu wahren.
Familienglück im Frühling: Freude über drei Kinder.
Psychologe Hans-Otto Thomashoff rät Paaren, die noch unentschlossen sind, sich nicht zu sehr auf die Entscheidung selbst zu fokussieren: „Entscheidungen werden in unserem Denken eindeutig überbewertet. Nicht die Entscheidung selbst, sondern das, was wir aus ihr machen, ist entscheidend.“ Diese Aussage ermutigt dazu, den Fokus auf die Gestaltung des Familienlebens nach der Entscheidung für oder gegen ein drittes Kind zu legen.
Die Entscheidung für ein drittes Kind ist weniger eine Frage des „Ob“, sondern vielmehr eine Frage des „Wie“. Wie können wir als Familie wachsen, uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam ein erfülltes Leben gestalten?
Familienpolitik im Wandel: Ein Blick über den Tellerrand
Auch die Familienpolitik spielt eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen ein drittes Kind. In Frankreich beispielsweise wird Kindergeld erst ab dem zweiten Kind gezahlt, und Familien mit zwei oder mehr Kindern profitieren von einem sogenannten Familiensplitting, das zu einer steuerlichen Begünstigung führt. Diese Maßnahmen sollen Familien finanziell entlasten und den Wunsch nach mehreren Kindern fördern.
In China hat die Regierung angesichts der alternden Bevölkerung ihre Ein-Kind-Politik gelockert. Seit Mai 2021 dürfen Eltern drei Kinder bekommen. Diese Maßnahme zeigt, dass die demografische Entwicklung eines Landes einen großen Einfluss auf die Familienpolitik haben kann.
Die Ampel-Regierung in Deutschland reagierte auf die Kritik an der ursprünglich geplanten Kindergelderhöhung nur für das erste und zweite Kind prompt. Seit Januar 2023 gibt es für jedes Kind je 250 Euro monatlich. Eine gute Nachricht für alle Familien, die sich für oder gegen ein weiteres Kind entscheiden.
Das dritte Kind als Statussymbol? Eine Einschätzung
Um das Phänomen des dritten Kindes besser zu verstehen, ist es hilfreich, die Perspektive einer Expertin einzubeziehen. Prof. Dr. Anne-Kristin Kuhnt, Junior-Professorin für Demografie an der Universität Rostock, gibt eine differenzierte Einschätzung:
ELTERN: Frau Kuhnt, das Statistische Bundesamt meldete einen Anstieg bei den Geburten dritter Kinder in Deutschland. Ist das der Beweis für einen neuen Trend? Die Deutschen verabschieden sich vom gängigen Zwei-Kind-Modell?
Anne-Kristin Kuhnt: Wenn man von einer Trendwende spricht, muss man einen Referenzzeitpunkt festlegen. Anfang der 1970er-Jahre haben noch etwa 30 Prozent der Frauen in Deutschland drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht. Heute sind es etwa 17 Prozent. Wenn man die 30 Prozent als Referenz heranzieht, sind wir weit von einem neuen Trend zum dritten Kind entfernt. Zudem muss man differenzieren, in welcher Bevölkerungsgruppe sich angeblich etwas verändert. Schließlich hat man im katholischen Süden oder auf dem Land schon immer mehr Kinder bekommen. Auch Deutsche mit eigener Migrationserfahrung haben größere Familien. Sie meinen die deutsche Mittelschicht, nehme ich an.
ELTERN: Genau, hier scheint ein drittes Kind gerade zum neuen Statussymbol zu werden. Ist das so?
Anne-Kristin Kuhnt: Es mag so eine gefühlte Evidenz geben, aber da Sie mich als Wissenschaftlerin fragen: Die Daten reichen nicht aus, um das zu bestätigen. Es werden ja keine Fragen zu den Gründen der dritten Schwangerschaft gestellt.
ELTERN: Was wissen wir denn?
Anne-Kristin Kuhnt: Wir wissen, dass es gerade einen kleinen Anstieg im Vergleich zu den vergangenen Jahren bei der Geburt dritter Kinder gibt. Ob dies eine generelle gesellschaftliche Trendwende weg von der Zwei-Kind-Norm darstellt, wissen wir jetzt aber noch nicht. Das wird sich erst zukünftig zeigen. Wir wissen auch, dass von allen kinderreichen Personen fast drei Viertel eine mittlere oder hohe Bildung aufweisen. Damit kann man Kinderreichtum aktuell als ein Phänomen der Mittelschicht beschreiben. Ob das dritte Kind jedoch als Statussymbol angesehen wird, wissen wir ebenfalls nicht. Es wäre aber interessant, das in zukünftigen sozialwissenschaftlichen Befragungen zu erheben.
ELTERN: Haben auch Corona und die Lockdowns einen Babyboom ausgelöst? Eine Rückbesinnung auf die größere Familie?
Anne-Kristin Kuhnt: Das ist eher Spekulation. Aktuelle internationale Studien zeigen, dass es in den meisten Ländern aufgrund der Corona-Pandemie weder einen Babyboom noch eine Stagnation bei den Geburten gegeben hat. Kurzfristige Veränderungen in den Geburtenzahlen können eher darauf zurückzuführen sein, dass Corona einfach das Timing der Geburten verändert hat. Eltern haben vielleicht den Beginn der Pandemie abgewartet und Schwangerschaften lieber erst mal verschoben. Andere Eltern haben die Krise für eine vorgezogene Schwangerschaft genutzt, die vielleicht erst später geplant war. Es handelt sich aber nicht zwingend um zusätzliche Kinder, die aufgrund der Pandemie geboren wurden. Allerdings hat Familie noch immer einen hohen Stellenwert – insbesondere unter Jugendlichen, wie zum Beispiel Ergebnisse der Shell-Jugendstudie zeigen. Dies könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass zukünftig womöglich wieder mehr Kinder in Familien geboren werden.
Fazit: Mehr Kinder – Mehr Freude?
Der Trend zum dritten Kind ist komplex und vielschichtig. Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage, ob es sich um einen gesellschaftlichen Wertewandel oder eine Modeerscheinung handelt. Vielmehr spielen individuelle, regionale, sozioökonomische und politische Faktoren eine Rolle. Die Entscheidung für oder gegen ein drittes Kind ist eine persönliche Entscheidung, die gut überlegt sein will. Es ist wichtig, sich als Paar bewusst zu sein, welche Herausforderungen und Chancen ein weiteres Kind mit sich bringt. Eine offene Kommunikation, eine gerechte Aufgabenverteilung und die Bereitschaft, sich als Familie weiterzuentwickeln, sind entscheidende Faktoren für ein glückliches und erfülltes Familienleben – egal ob mit zwei, drei oder mehr Kindern.
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