Der Moment, wenn ein Schwangerschaftstest zwei Striche zeigt, ist magisch. Eine Welle der Vorfreude, gepaart mit einem tiefen Verantwortungsgefühl, erfasst werdende Eltern. Die Recherche beginnt: Welcher Kinderwagen ist der sicherste? Welches Babyphone hat die beste Bewertung? Alles soll perfekt sein für das kleine Wunder. Doch mit der freudigen Botschaft tritt man unweigerlich in eine Arena öffentlicher Meinungen ein, in der jede Entscheidung auf dem Prüfstand steht.
Der unaufgeforderte Rat – Eine Flut von Meinungen
Kaum hat man die Schwangerschaft verkündet, prasseln ungefragt Ratschläge auf einen ein. Jeder scheint plötzlich Experte zu sein, bereit, seinen Senf dazuzugeben, was man in der Schwangerschaft und später als Eltern richtig oder falsch macht. Ob die Person selbst Kinder hat, ob die eigenen Kinder schon längst erwachsen sind oder ob sie einfach nur mal selbst Kind waren – das spielt keine Rolle. Die Meinungen sind da, oft ungebeten und manchmal verurteilend. Und als ob das nicht genug wäre, wird man zusätzlich mit einer oft unreflektierten Berichterstattung konfrontiert, die Eltern in Schubladen steckt und beleidigt.
Diese Flut an Ratschlägen ist mehr als nur gut gemeint. Sie ist ein Ausdruck der gesellschaftlichen Erwartung, dass Eltern von Anfang an alles richtig machen müssen. Doch wie soll das gehen, wenn man gerade erst in diese neue Rolle hineinwächst? Wie soll man sich in einem Dschungel aus widersprüchlichen Meinungen zurechtfinden? Es ist ein Balanceakt zwischen dem Wunsch, alles richtig zu machen, und dem Vertrauen in die eigene Intuition.
Von Rasenmähern und Helikoptern – Die Schubladen der Erziehung
Sobald das Baby da ist und sich die erste Glückseligkeit gelegt hat, beginnen die bohrenden Fragen: „Stillst du immer noch?“, „Schläft er immer noch nicht durch?“ oder „Musst du für diese kurze Strecke wirklich einen Kindersitz benutzen?“. Plötzlich findet man sich in einer Rechtfertigungsposition wieder, obwohl man selbst noch am Lernen ist. Man sucht im Internet nach Antworten und wird mit Begriffen wie Glucken, Rasenmähereltern oder Helikoptermütter konfrontiert – Schubladen, die einem das Gefühl geben, alles falsch zu machen.
Diese Labels sind nicht nur verletzend, sondern auch kontraproduktiv. Sie erzeugen einen unnötigen Druck und verunsichern Eltern, die ohnehin schon mit Schlafmangel, Hormonen und der großen Verantwortung zu kämpfen haben. Anstatt sich gegenseitig zu unterstützen und zu ermutigen, werden Eltern in Lager aufgeteilt und gegeneinander ausgespielt. Dabei sollte es doch darum gehen, einen Weg zu finden, der für die eigene Familie am besten funktioniert.
Vielfalt, Stärke und Unterstützung: Drei Frauen, jede mit ihrer eigenen Geschichte, stehen für die Gemeinschaft und gegen Vorurteile.
Die Erwartung der Perfektion – Ein unerreichbares Ziel
Wir predigen unseren Kindern, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Doch für Eltern scheint diese Weisheit im öffentlichen Diskurs keine Gültigkeit zu haben. Wie soll man etwas perfekt können, was man noch nie zuvor gemacht hat? Wie soll man Babys, Kleinkinder und Teenager perfekt großziehen? Und selbst beim zweiten oder dritten Kind ist die Situation wieder anders und man fängt von vorne an. Natürlich wollen wir es nicht vermasseln, natürlich geben wir unser Bestes. Kein Wunder, dass der Druck so enorm hoch ist und viele Eltern an ihre eigenen Grenzen stoßen.
Die heutige Gesellschaft stellt hohe Ansprüche an Eltern. Es geht nicht mehr nur darum, die Kinder zu versorgen, sondern auch darum, ihnen die bestmögliche Bildung zu ermöglichen, sie in ihren Talenten zu fördern und sie vor den Gefahren der Welt zu schützen. Gleichzeitig sollen Eltern berufstätig sein, ein erfülltes Sozialleben haben und sich selbst nicht vergessen. Dieser Spagat ist kaum zu bewältigen und führt oft zu Überlastung und einem Gefühl des Versagens.
Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, ist die größte Verantwortung, der man sich im Leben stellen kann.
Früher war alles anders – Die veränderte Kindheit
Es ist nicht nur die Erwartungshaltung, die uns belastet. Es sind auch die heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Ansprüche an uns selbst, wie wir mit unseren Kindern umgehen wollen. Anders als zu Zeiten, als unsere Eltern Kinder waren, und anders, als wir es waren. Kinder der 70er- und 80er-Jahre waren mehr draußen, spielten auf der Straße und im Wald. Es gab nur eine Regel: zu Hause zu sein, wenn das Abendbrot auf dem Tisch stand. Die Welt hat sich verändert, ist in vielen Bereichen sicherer geworden, in anderen sind die Ängste und Sorgen größer.
Die Polykrisen unserer Zeit – Cyberkriminalität, Klimakrise, Kriege – tragen zu einem Gefühl der Unsicherheit bei. Gleichzeitig möchten viele Eltern nicht mehr „nur“ Elternteil sein, sondern vor allem eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kindern aufbauen. Diese Nähe sorgt für schlaflose Nächte, weil man weiß, was das Kind umtreibt und in welche Risikozonen es sich bewegt. Wir hören und lesen viel mehr schlimme Geschichten als unsere Eltern und Großeltern, und das täglich aus der ganzen Welt. Das sorgt für diffuse Ängste und den Wunsch, die Gefahren möglichst kontrollierbar zu halten.
Eltern von heute wollen ihre Kinder stark machen für eine Welt, die sich ständig verändert. Sie wollen ihnen Werte vermitteln, die ihnen Halt geben, und sie gleichzeitig ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen. Dieser Anspruch ist hoch und erfordert viel Energie, Geduld und Selbstreflexion.
Wie geht es unseren Kindern wirklich? – Ein Blick auf die Fakten
Zum Glück scheint diese Fürsorglichkeit den Kindern nicht zu schaden. Dem UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder 2023 zufolge geht es den meisten Kindern hierzulande sehr gut. Die größte Bedrohung für unsere Kinder sind nicht Helikoptereltern, sondern Armut und Armutsgefährdung, mangelnde Teilhabe, Mobbing und Gewalt, die Zeitknappheit der Eltern aufgrund der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Versäumnisse in der Bildungspolitik. „Die Chancen auf ein gesundes und entwicklungsförderliches Aufwachsen sind ungleich verteilt. Die Corona-Pandemie hat diese bestehenden Ungleichheiten weiter vertieft“, schreibt auch das BMFSFJ.
Studien zeigen, dass Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger von Verhaltensauffälligkeiten betroffen sind als Kinder aus besser situierten Familien. Überfürsorge scheint demnach nicht besonders schädlich zu sein, ganz im Gegensatz zu Armut. Doch wer wird da laut? Statt sich an Eltern abzuarbeiten, wäre es doch viel sinnstiftender, diese Energie in Engagement gegen all diese Missstände umzuleiten.
Diese Fakten sollten uns zu denken geben. Anstatt uns auf die vermeintlichen Erziehungsfehler einzelner Eltern zu konzentrieren, sollten wir uns auf die strukturellen Probleme konzentrieren, die das Aufwachsen von Kindern in Deutschland erschweren. Wir brauchen eine Politik, die Familien unterstützt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihren Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen.
Unterstützung statt Verurteilung – Ein Appell an die Gesellschaft
Kümmern wir uns, sind wir Glucken und Helikoptereltern, also schlechte Eltern. Kümmern wir uns nicht, sind wir Rabeneltern – auch schlecht. Wie groß der Einfluss der Berichterstattung auf die Wahrnehmung von Eltern und Kinder ist, zeigt sich in diesem überspitzten Fokus auf vermeintliche Erziehungsfehler besonders deutlich. Schließlich hält sich das Klischee der Helikoptereltern hartnäckig.
Statt Eltern zu beschämen, sollten sie viel mehr ermutigt werden. Immerhin ist die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, die größte Verantwortung, der man sich im Leben stellen kann. Vor allem im Hinblick auf die immensen Anforderungen, mit denen Eltern heute konfrontiert sind, insbesondere wenn man vieles richtig machen und den Kindern materiell, sozial und emotional stabile und gute Verhältnisse bieten möchte. Das bedeutet: Arbeit, Schule, Haushalt, Hobbys (die der Kinder und die eigenen), Sport und Freizeit unter einen Hut zu bringen und dazu noch da zu sein, zuzuhören, Ruhe zu bewahren, die Nerven zu behalten – und das mit meist minimaler Unterstützung.
Es ist Wahnsinn, was heute von Eltern verlangt wird. Auch ein Elterntag hat nur 24 Stunden. Wir haben leider nicht mehr mentale und körperliche Ressourcen als andere. Kein Wunder, dass so viele so stark belastet und überlastet sind. Das zu sehen, anstatt draufzuhauen, einen Schritt zurückzutreten, anstatt kleine Fehlbarkeiten zu bewerten, und Eltern zu unterstützen, anstatt sie zu diffamieren und anzugreifen, das wäre wirklich hilfreich und dringend notwendig.
Fazit: Lasst uns Eltern stärken, nicht verurteilen!
Die Reise des Elternseins ist eine der größten Herausforderungen und schönsten Erfahrungen im Leben. Doch in einer Gesellschaft, die oft mehr Wert auf Perfektion als auf Menschlichkeit legt, fühlen sich viele Eltern überfordert und verunsichert. Anstatt sie mit Labels zu belegen und zu verurteilen, sollten wir ihnen Unterstützung anbieten, damit sie ihre Kinder bestmöglich begleiten können. Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft ein Umfeld schaffen, in dem Eltern ermutigt werden, auf ihre Intuition zu vertrauen, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Denn am Ende zählt nur eines: dass unsere Kinder in einer liebevollen und unterstützenden Umgebung aufwachsen können.
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