Erinnerst du dich an das Gefühl, als du zum ersten Mal dein Kind im Arm gehalten hast? Eine überwältigende Mischung aus Liebe, Schutzinstinkt und dem Wunsch, alles besser zu machen als die Generationen vor dir. Doch was passiert, wenn die eigenen Kindheitserfahrungen wie dunkle Schatten über diesem Glück liegen? Wenn die Beziehung zu den eigenen Eltern mehr Schmerz als Halt bedeutet?
Wenn die Vergangenheit die Gegenwart überschattet
Viele Mütter kennen das Dilemma: Einerseits wollen sie ihren Kindern eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen, andererseits kämpfen sie mit den eigenen, oft schmerzhaften Erfahrungen. Es ist ein Balanceakt zwischen dem Wunsch nach Versöhnung mit der eigenen Familie und dem Bedürfnis, die eigenen Kinder vor ähnlichen Verletzungen zu bewahren. Die Vergangenheit kann sich in Form von unerklärlichen Wutausbrüchen, depressiven Verstimmungen oder Panikattacken äußern. Manchmal sind es nur kleine Dinge, ein bestimmter Geruch, ein bestimmtes Wort, das plötzlich alte Wunden aufreißt.
Stell dir vor, du stehst in der Küche und bereitest das Lieblingsessen deiner Kinder zu. Plötzlich überkommt dich ein Gefühl der Leere, der Unsicherheit. Du fragst dich, warum deine eigenen Eltern dir nie diese bedingungslose Liebe entgegengebracht haben. Warum du immer das Gefühl hattest, nicht gut genug zu sein. Diese Fragen können quälend sein, besonders wenn du versuchst, gleichzeitig eine liebevolle und präsente Mutter zu sein. Der Druck, alles richtig zu machen, kann erdrückend sein.
Es ist ein Teufelskreis: Die eigenen negativen Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussen das Verhalten als Mutter, was wiederum zu Schuldgefühlen und Selbstzweifeln führt. Manchmal ertappt man sich dabei, Verhaltensmuster der eigenen Eltern zu wiederholen, obwohl man es doch so anders machen wollte. Es ist ein Kampf gegen die eigenen Dämonen, ein Kampf für die eigene Familie.
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Der Weg zur „Entelterung“: Sich von alten Mustern befreien
Die „Entelterung“, wie es die Eltern- und Familienberaterin Sandra Teml-Jetter nennt, ist ein Prozess der aktiven Auseinandersetzung mit den eigenen Verhaltensmustern und emotionalen Verstrickungen. Es geht nicht darum, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen, sondern darum, sich von den negativen Einflüssen der Vergangenheit zu befreien. Es ist ein Weg der Selbstfindung und Selbstheilung, der es ermöglicht, eine gesunde Beziehung zu sich selbst und zur eigenen Familie aufzubauen. Es bedeutet, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu respektieren, Grenzen zu setzen und sich von den Erwartungen anderer zu lösen.
Dieser Prozess kann schmerzhaft und herausfordernd sein, aber er ist notwendig, um ein erfülltes Leben als Mutter und als Frau zu führen. Es erfordert Mut, sich den eigenen Ängsten und Unsicherheiten zu stellen, aber es lohnt sich. Denn nur wenn man sich selbst liebt und akzeptiert, kann man auch seinen Kindern die bedingungslose Liebe geben, die sie verdienen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ist ein Geschenk an sich selbst und an die nächste Generation.
Es ist wichtig zu verstehen, dass man nicht allein ist. Viele Mütter kämpfen mit ähnlichen Problemen. Der Austausch mit anderen Betroffenen, sei es in Selbsthilfegruppen oder in Online-Foren, kann sehr hilfreich sein. Es tut gut zu wissen, dass man mit seinen Gefühlen und Erfahrungen nicht alleine ist. Gemeinsam kann man sich gegenseitig unterstützen und ermutigen, den Weg der „Entelterung“ zu gehen.
Ich sehe eine heute erwachsene Frau, die sich seit vielen Jahren in einem Kreislauf befindet, in dem sie darin bestätigt wird, wie schwierig sie angeblich sei. Die – zumindest ist das meine Vermutung – gar nicht schwierig ist. Die, egal, wie oft sie es versucht, die elterliche Liebe, wie sie sie gerne hätte, nicht bekommen wird. Und die diese schmerzliche Einsicht bisher versucht hat, zu umgehen.
Grenzen setzen: Für sich selbst und die Kinder
Eine wichtige Erkenntnis auf dem Weg der „Entelterung“ ist, dass man nicht die Vergangenheit ändern kann, aber man kann die Zukunft gestalten. Man kann entscheiden, wie man mit den eigenen Eltern umgeht und welche Rolle sie im Leben der eigenen Kinder spielen sollen. Es ist wichtig, Grenzen zu setzen, um sich selbst und die Kinder vor negativen Einflüssen zu schützen. Das bedeutet nicht, dass man den Kontakt zu den Eltern abbrechen muss, aber es bedeutet, dass man sich nicht mehr von ihnen manipulieren oder emotional erpressen lässt. Es bedeutet, dass man für sich selbst und seine Familie einsteht.
Denke an Lana, die nach der Geburt ihres ersten Kindes massivem Druck von ihrer Familie ausgesetzt war. Sie wollte Zeit für sich und ihr Baby, aber ihre Eltern bestanden darauf, sofort zu Besuch zu kommen und mehrere Tage zu bleiben. Der Stress führte zu Milchstau, Brustentzündung und schließlich zur Bewusstlosigkeit. Erst als sie den Kontakt zu ihren Eltern abbrach, fand sie die innere Ruhe, die sie brauchte, um eine gute Mutter zu sein. Lanas Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, die eigenen Grenzen zu schützen, auch wenn es schwerfällt.
Es ist in Ordnung, „Nein“ zu sagen. Es ist in Ordnung, die eigenen Bedürfnisse an erste Stelle zu setzen. Es ist in Ordnung, sich von Menschen zu distanzieren, die einem nicht guttun. Das ist keine Egoismus, sondern Selbstfürsorge. Und Selbstfürsorge ist die Grundlage für eine gesunde und glückliche Familie. Indem man für sich selbst sorgt, sorgt man auch für seine Kinder.
Die Rolle der Mutter neu definieren
Der Weg der „Entelterung“ kann auch dazu führen, die eigene Rolle als Mutter neu zu definieren. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, authentisch zu sein. Es geht darum, die eigenen Stärken und Schwächen zu akzeptieren und daraus zu lernen. Es geht darum, den Kindern ein Vorbild zu sein, indem man zeigt, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen und dass man aus ihnen wachsen kann.
Viele Mütter haben Angst, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu zeigen, weil sie denken, dass sie dadurch egoistisch oder unzulänglich wirken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Indem man offen über seine Gefühle spricht und sich selbst erlaubt, Schwäche zu zeigen, schafft man eine Atmosphäre des Vertrauens und der Nähe. Die Kinder lernen, dass es in Ordnung ist, traurig, wütend oder ängstlich zu sein und dass man darüber sprechen kann.
Es ist wichtig, sich selbst zu erlauben, Fehler zu machen. Niemand ist perfekt, und es ist unrealistisch, das von sich selbst zu erwarten. Statt sich für Fehler zu verurteilen, sollte man sie als Chance sehen, zu lernen und zu wachsen. Indem man sich selbst vergibt, zeigt man seinen Kindern, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen und dass man daraus lernen kann.
Fazit: Die Vergangenheit akzeptieren, die Zukunft gestalten
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die „Entelterung“ sind ein wichtiger Schritt für Mütter, die ihren Kindern eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen wollen. Es geht darum, sich von den negativen Einflüssen der eigenen Eltern zu befreien, Grenzen zu setzen und die eigene Rolle als Mutter neu zu definieren. Es ist ein Weg der Selbstfindung und Selbstheilung, der es ermöglicht, eine gesunde Beziehung zu sich selbst und zur eigenen Familie aufzubauen. Es ist wichtig zu verstehen, dass man nicht allein ist und dass es Hilfe und Unterstützung gibt. Indem man sich seinen Ängsten und Unsicherheiten stellt, kann man ein erfülltes Leben als Mutter und als Frau führen.
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