Es ist jedes Jahr das gleiche Bild: Der Wohnzimmertisch biegt sich unter der Last liebevoll verpackter Geschenke, die Augen der Kinder funkeln vor Aufregung. Die Vorfreude ist greifbar, ein Knistern liegt in der Luft. Doch dann, inmitten des Papierraschelns und Jauchzens, ein Moment des Innehaltens. Ein Moment, der viele Mütter – mich eingeschlossen – ins Grübeln bringt. Die Geschenke sind ausgepackt, die Freude scheint verflogen und ein aufrichtiges „Danke“ bleibt aus. Ein Déjà-vu Erlebnis, das sich in vielen Familien Jahr für Jahr wiederholt und die Frage aufwirft: Wie bringen wir unseren Kindern Dankbarkeit bei?
Das Minenfeld der Erwartungen
Weihnachten, Geburtstage, Ostern – Anlässe, die eigentlich mit Freude und Wertschätzung verbunden sein sollten, werden oft zu einem Stresstest für Eltern. Wir investieren Zeit, Mühe und nicht zuletzt Geld, um unseren Kindern eine Freude zu machen. Wir suchen nach dem perfekten Geschenk, verpacken es liebevoll und inszenieren den Moment der Übergabe. Und dann? Leere Blicke, ungeduldige Hände, die schon zum nächsten Geschenk greifen, und ein fehlendes „Danke“. Es ist verständlich, dass sich in solchen Momenten Frustration breit macht. Man fühlt sich nicht wertgeschätzt, die eigene Mühe wird nicht gesehen. Doch bevor wir in Selbstmitleid versinken oder gar Vorwürfe äußern, sollten wir einen Schritt zurücktreten und uns fragen: Was bedeutet Dankbarkeit überhaupt und wie können wir sie unseren Kindern auf eine positive Art und Weise vermitteln?
Was bedeutet Dankbarkeit wirklich?
Dankbarkeit ist mehr als nur ein Wort, das man über die Lippen bringt. Es ist ein Gefühl, eine Haltung, eine Art, die Welt zu betrachten. Die American Psychiatric Association definiert Dankbarkeit als einen Zustand des Dankbarseins und der Wertschätzung. Es geht darum, die positiven Aspekte des Lebens zu erkennen und anzuerkennen, sowohl die großen als auch die kleinen. Dr. Giacomo Bono, Psychologe und Co-Autor des Buches „Making Grateful Kids“, betont, dass Dankbarkeit mit positiven Emotionen verbunden ist, die wir empfinden, wenn wir etwas geschenkt bekommen – sei es ein materielles Geschenk oder eine immaterielle Zuwendung.
Dankbarkeit ist ein wichtiger Baustein für ein erfülltes und glückliches Leben. Sie hilft uns, uns auf das Positive zu konzentrieren, unsere Beziehungen zu stärken und mit Herausforderungen besser umzugehen. Studien haben gezeigt, dass dankbare Menschen weniger anfällig für Depressionen und Angstzustände sind, besser schlafen und ein stärkeres Immunsystem haben. Kein Wunder also, dass wir uns wünschen, dass unsere Kinder diese wertvolle Eigenschaft entwickeln.
Warum Dankbarkeit bei Kindern manchmal auf der Strecke bleibt
Doch warum fällt es Kindern oft so schwer, Dankbarkeit zu zeigen? Ist es mangelnde Erziehung, übermäßiger Konsum oder einfach nur kindliche Unbekümmertheit? Die Wahrheit ist, dass es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die dazu beitragen können, dass Kinder Dankbarkeit nicht immer so zeigen, wie wir es uns wünschen. Ein wichtiger Aspekt ist die Entwicklung des sogenannten „Theory of Mind“. Damit ist die Fähigkeit gemeint, zu verstehen, dass andere Menschen andere Gedanken, Gefühle und Perspektiven haben als man selbst. Diese Fähigkeit entwickelt sich erst im Laufe der Kindheit und ist entscheidend dafür, dass Kinder die Mühe und die Absichten anderer Menschen erkennen und wertschätzen können. Kinder unter fünf Jahren sind oft noch nicht in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen und zu verstehen, was es bedeutet, ein Geschenk zu machen oder eine Gefälligkeit zu erweisen.
Ein weiterer Faktor ist die Reizüberflutung, der Kinder heutzutage ausgesetzt sind. In einer Welt, in der ständig neue Spielzeuge, Erlebnisse und Konsumgüter angepriesen werden, fällt es schwer, den Wert einzelner Dinge zu erkennen. Kinder gewöhnen sich schnell an den Überfluss und verlieren das Gefühl dafür, was es bedeutet, etwas Besonderes zu bekommen. Auch der Erziehungsstil spielt eine Rolle. Wenn Kinder ständig mit Geschenken überhäuft werden oder wenig Wertschätzung erfahren, lernen sie möglicherweise nicht, Dankbarkeit zu zeigen. Hinzu kommt, dass Kinder oft das Verhalten ihrer Eltern widerspiegeln. Wenn Eltern selbst wenig Dankbarkeit zeigen oder sich ständig über Kleinigkeiten beschweren, ist es unwahrscheinlich, dass ihre Kinder eine andere Haltung entwickeln.
Geschenk des Dankes
Es ist wichtig zu verstehen, dass Dankbarkeit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Fähigkeit, die erlernt und geübt werden muss. Und wie bei jeder Fähigkeit braucht es Zeit, Geduld und die richtige Unterstützung, um sie zu entwickeln. Eltern spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie können ihren Kindern helfen, Dankbarkeit zu lernen, indem sie selbst ein gutes Vorbild sind, ihnen die Bedeutung von Wertschätzung vermitteln und ihnen Möglichkeiten bieten, Dankbarkeit zu üben.
Die Fähigkeit, Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken, ist ein Geschenk, das wir unseren Kindern mit auf den Weg geben können. Es ist ein Geschenk, das sie nicht nur glücklicher, sondern auch widerstandsfähiger und sozial kompetenter macht.
Es beginnt mit uns selbst
Die Sozialpsychologin Dr. Susan Newman betont, dass es wenig bringt, Kinder zum „Danke“-Sagen zu zwingen. Das erzeuge nur eine leere Floskel, ohne echtes Gefühl dahinter. Viel wichtiger sei es, selbst Dankbarkeit vorzuleben. Zeigen Sie Ihren Kindern, wie Sie sich über eine nette Geste, ein leckeres Essen oder ein schönes Kompliment freuen. Bedanken Sie sich bei Ihrem Partner, Ihren Freunden und Ihren Kindern für die kleinen und großen Dinge, die sie für Sie tun. Erklären Sie, warum Sie dankbar sind und was es Ihnen bedeutet. Wenn Ihre Kinder sehen, dass Dankbarkeit ein fester Bestandteil Ihres Lebens ist, werden sie diese Haltung nach und nach übernehmen.
Es geht darum, eine Kultur der Wertschätzung in der Familie zu etablieren. Das bedeutet, nicht nur materielle Geschenke zu würdigen, sondern auch immaterielle Zuwendungen wie Zeit, Aufmerksamkeit und Unterstützung. Zeigen Sie Ihren Kindern, dass Sie ihre Hilfe im Haushalt, ihre guten Noten oder ihre freundlichen Gesten wertschätzen. Loben Sie sie nicht nur für ihre Leistungen, sondern auch für ihre Anstrengungen und ihr Engagement. So lernen sie, dass es nicht nur um das Ergebnis geht, sondern auch um den Weg dorthin.
Dr. Bono beobachtete während seiner Arbeit an „Making Grateful Kids“, dass Kinder Dankbarkeit als eine Form der Liebe und Freundlichkeit verstehen: „Freundlich zu sein bedeutet auch, dankbar zu sein.“
Konversationen, die verbinden
Neben dem Vorbild spielen Gespräche eine wichtige Rolle, um Kindern Dankbarkeit näherzubringen. Dr. Bono empfiehlt, mit Kindern über moralische Emotionen wie Scham, Demut, Dankbarkeit, Verlegenheit und Schuld zu sprechen. Diese Momente bieten eine Chance, aufzuzeigen, wo sie sich moralischer hätten verhalten können. Eine solche „induktive Disziplin“ sei ein demokratischer Prozess, bei dem die Perspektive des Kindes einbezogen wird, um zu verstehen, was und wer ihm wichtig ist.
Nutzen Sie alltägliche Situationen, um mit Ihren Kindern über Dankbarkeit zu sprechen. Fragen Sie sie, wofür sie heute dankbar sind oder was sie an einem bestimmten Ereignis besonders geschätzt haben. Ermutigen Sie sie, über ihre Gefühle zu sprechen und ihre Perspektive zu teilen. Hören Sie aufmerksam zu und nehmen Sie ihre Antworten ernst. Vermeiden Sie es, zu belehren oder zu moralisieren. Es geht darum, einen offenen und ehrlichen Dialog zu führen, in dem sich Ihre Kinder wohl und verstanden fühlen.
Auch beim Thema Konsum können Sie mit Ihren Kindern ins Gespräch kommen. Erklären Sie ihnen, woher die Dinge kommen, die sie besitzen, und wer daran beteiligt war, sie herzustellen. Sprechen Sie über die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern und die Auswirkungen unseres Konsums auf die Umwelt. So lernen Ihre Kinder, die Dinge, die sie haben, nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern als Ergebnis von Arbeit und Ressourcen zu schätzen.
Jenseits der materiellen Welt
Um Dankbarkeit zu fördern, ist es wichtig, den Fokus von materiellen Dingen auf das zu verlagern, was Ihre Kinder ausmacht und was sie tun. Dr. Newman rät, den Kindern zu zeigen, wie dankbar man für sie ist. Konzentrieren Sie sich auf die Zeit, die Mühe und die besondere Aufmerksamkeit, die sie Ihnen schenken, wenn sie etwas für Sie tun oder etwas für Sie machen. Indem Sie konkret werden, geben Sie Ihrem Kind das Gefühl, wertgeschätzt und sogar stolz zu sein, und verhindern, dass das „Dankeschön“ zu einer automatischen, bedeutungslosen Äußerung wird.
Eine weitere Möglichkeit, Dankbarkeit zu üben, ist das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs. Ermutigen Sie Ihre Kinder, jeden Tag, einmal pro Woche oder wann immer sie sich wohlfühlen, aufzuschreiben, wofür sie dankbar sind. Das kann etwas ganz Kleines sein, wie ein sonniger Tag, ein nettes Gespräch oder ein leckeres Essen. Wichtig ist, dass sie sich bewusst machen, was in ihrem Leben positiv ist. Studien haben gezeigt, dass das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs Materialismus reduzieren und die Hilfsbereitschaft fördern kann. Regelmäßiges dankbares Denken kann Sie sogar um bis zu 25 % glücklicher machen.
Gemeinsam Gutes tun
Eine besonders wertvolle Erfahrung ist es, sich gemeinsam mit Ihren Kindern ehrenamtlich zu engagieren. Suchen Sie sich eine Organisation oder ein Projekt, das Ihnen am Herzen liegt, und bieten Sie Ihre Hilfe an. Ob im Tierheim, in der Suppenküche oder im Altenheim – es gibt viele Möglichkeiten, anderen Menschen etwas Gutes zu tun. Durch das Helfen lernen Ihre Kinder, dass es nicht nur um sie selbst geht, sondern auch um das Wohl anderer. Sie erleben, wie viel Freude es bereiten kann, etwas zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und sie erkennen, wie privilegiert sie sind und was sie alles haben, was andere nicht haben.
Geduld ist eine Tugend
Dankbarkeit zu lernen ist ein Prozess, der Zeit braucht. Es wird nicht von heute auf morgen geschehen, dass Ihre Kinder überschwänglich „Danke“ sagen und jede Kleinigkeit wertschätzen. Es wird Rückschläge geben, Momente der Frustration und Zweifel. Aber geben Sie nicht auf! Bleiben Sie geduldig, verständnisvoll und liebevoll. Erinnern Sie sich daran, dass Sie selbst auch nicht perfekt sind und dass auch Sie manchmal Schwierigkeiten haben, Dankbarkeit zu zeigen. Seien Sie ein Vorbild, bieten Sie Ihren Kindern Möglichkeiten, Dankbarkeit zu üben, und vertrauen Sie darauf, dass sie mit der Zeit lernen werden, diese wertvolle Eigenschaft zu entwickeln. Und wer weiß, vielleicht werden Sie eines Tages überrascht sein, wie viel Dankbarkeit Ihnen von Ihren Kindern entgegengebracht wird.
Fazit: Ein Herz voller Dankbarkeit
Dankbarkeit ist eine Fähigkeit, die erlernt und geübt werden muss. Eltern spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie selbst ein gutes Vorbild sind, ihren Kindern die Bedeutung von Wertschätzung vermitteln und ihnen Möglichkeiten bieten, Dankbarkeit zu üben. Es geht darum, eine Kultur der Wertschätzung in der Familie zu etablieren, den Fokus von materiellen Dingen auf immaterielle Werte zu verlagern und Kindern die Möglichkeit zu geben, sich ehrenamtlich zu engagieren. Mit Geduld, Verständnis und Liebe können Eltern ihren Kindern helfen, ein Herz voller Dankbarkeit zu entwickeln – ein Geschenk, das sie ein Leben lang begleiten wird.
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