Es ist ein Phänomen, das jede Familie früher oder später durchlebt: die Pubertät. Eine Zeit des Umbruchs, der Herausforderungen und der großen Gefühle. Als Mutter steht man plötzlich vor einem Kind, das sich verändert, das neue Wege geht und die Welt mit anderen Augen sieht. Michael Kneissler, Vater von fünf Kindern, weiß aus eigener Erfahrung, dass keine Pubertät der anderen gleicht. Seine Erlebnisse sind ein Spiegelbild der Vielfalt und Komplexität dieser Lebensphase.
Die Pubertät: Mehr als nur Hormone
Die Pubertät ist mehr als nur ein paar Jahre, in denen Mädchen zu Frauen und Jungen zu Männern werden. Es ist eine Zeit, die bis ins Erwachsenenalter nachwirkt. Hormone spielen eine große Rolle, das ist unbestritten. Doch was wirklich passiert, ist vielschichtiger. Der Körper verändert sich, das Gehirn wird umgebaut, und die Emotionen fahren Achterbahn. Als Elternteil steht man oft hilflos daneben und fragt sich, was man tun soll.
Es ist, als würde man sein eigenes Kind nicht mehr erkennen. Die einst so süßen Kleinen werden zu Teenagern, die ihre Grenzen austesten, die rebellieren und die ihren eigenen Weg suchen. Es ist eine Zeit der maximalen Überraschung, im besten Fall, und des maximalen Schocks, im schlechtesten. Manchmal ist es, als würde man auf einer Baustelle leben, auf der alles drunter und drüber geht. Nervenbahnen werden neu verknüpft, und das Chaos scheint perfekt.
Jugendliche Entdeckung: Ein Mädchen im Fokus der Pubertät
Die gute Nachricht ist: Man ist nicht allein. Jede Familie erlebt diese Herausforderungen. Und es gibt Wege, diese Zeit gemeinsam zu meistern. Es braucht Vertrauen, Geduld und die Bereitschaft, loszulassen. Aber vor allem braucht es die Erkenntnis, dass die Pubertät eine wichtige Phase ist, in der sich Kinder zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickeln.
Zwischen Arrestzelle und Drogenberatung: Extreme Erfahrungen
Michael Kneissler hat in der Pubertät seiner Kinder so einiges erlebt. Er hat sie aus der Arrestzelle abgeholt, war bei der Polizei, vor Gericht und bei der Drogenberatung. Doch er hat auch schöne Erlebnisse gehabt: gute Gespräche, gemeinsame Reisen, Erfolge in der Schule, Auseinandersetzungen, Versöhnungen, Krieg und Frieden. Die Pubertät ist eine ereignisreiche Zeit, die man mit seinen Kindern verbringen kann.
Es ist eine Zeit der Extreme. Die Kinder testen ihre Grenzen aus, sie machen Fehler, und sie lernen daraus. Als Elternteil muss man stark sein, man muss Halt geben, und man muss loslassen können. Es ist ein Balanceakt, der nicht immer einfach ist. Aber es ist eine Zeit, die einen als Familie zusammenschweißen kann.
Und manchmal, inmitten des Chaos, gibt es Momente der Klarheit. Momente, in denen man erkennt, dass die Kinder auf dem richtigen Weg sind. Momente, in denen man stolz auf sie ist. Momente, in denen man sieht, wie sie zu eigenständigen Persönlichkeiten heranwachsen. Diese Momente sind es, die die Pubertät zu einer so besonderen Zeit machen.
Die Rolle der Eltern: Loslassen und Vertrauen
Die Familientherapeutin Miriam Flick, selbst Mutter von drei Söhnen, bringt es auf den Punkt: „Wir haben die Kinder großgezogen, sie waren auf uns angewiesen und von uns abhängig, ihrer Liebe und Bewunderung konnten wir uns sicher sein. Jetzt zu beobachten und zu begleiten, wie aus diesen Kindern plötzlich eigenständige und selbstbestimmte Erwachsene werden, die zunehmend eigene Wege gehen, ist für die meisten von uns hart und ungewohnt. Und eben dieser veränderten Rolle gerecht zu werden ist auch die Herausforderung für uns Eltern.“
Es ist ein Loslassen, das schwerfällt. Man möchte seine Kinder beschützen, man möchte sie vor Fehlern bewahren. Aber man muss ihnen auch die Freiheit geben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Man muss ihnen vertrauen, dass sie ihren Weg finden werden. Und man muss für sie da sein, wenn sie Hilfe brauchen.
Das bedeutet nicht, dass man alles gutheißen muss, was sie tun. Es bedeutet, dass man ihnen zuhört, dass man ihre Perspektive versteht und dass man ihnen hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es bedeutet, dass man sie unterstützt, auch wenn sie Fehler machen. Denn aus Fehlern lernt man.
Die Herausforderung für uns Eltern besteht darin, unsere veränderte Rolle anzunehmen und unseren Kindern den Raum zu geben, sich zu eigenständigen Persönlichkeiten zu entwickeln.
Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen Nähe und Distanz, zwischen Kontrolle und Freiheit. Es geht darum, seinen Kindern zu zeigen, dass man für sie da ist, egal was passiert. Und es geht darum, ihnen zu vertrauen, dass sie ihren Weg gehen werden.
Wenn die Wut hochkocht: Authentizität als Schlüssel
Es gibt Momente, in denen die Wut hochkocht, in denen man als Elternteil an seine Grenzen kommt. Miriam Flick sagt dazu: „Das passiert. Und zwar in jedem guten pubertierenden Haushalt. Das zu wissen beruhigt, bereitet vor. Sich ein- und zuzugestehen, dass man nicht immer pädagogisch adäquat auf zwischenmenschliche Eskalationen reagieren kann und muss, ist der erste große Schritt. Kinder dürfen auch sehr gern merken, dass wir Eltern Menschen sind und Fehler machen. Authentizität ist hier das Zauberwort. Wenn Ausflippen das in diesem Moment einzig zur Verfügung stehende Mittel ist, steht dazu!“
Es ist beruhigend zu wissen, dass man nicht der Einzige ist, der die Kontrolle verliert. Andere Eltern erleben das auch. Es ist wichtig, sich einzugestehen, dass man nicht perfekt ist. Und es ist wichtig, seinen Kindern zu zeigen, dass man auch Fehler macht.
Aber es gibt Grenzen. Aggressives Reden und Handeln sollten nicht an der Tagesordnung sein. Schlagen und extrem gewaltvolle Sprache sind tabu. Wenn das passiert, braucht die Familie objektive und professionelle Unterstützung. Es ist wichtig, sich Hilfe zu holen, wenn man nicht mehr weiterweiß.
Die Bedeutung von Grenzen: Sicherheit und Orientierung
Klare Maßstäbe zu setzen, gibt Kindern Sicherheit und Orientierung. Es gibt ihnen die Möglichkeit, bei Bedarf Grenzüberschreitungen zu machen – und zu gucken, wie sich das anfühlt und was dann passiert. So können sie Selbstbestimmung lernen und erwachsen werden. Es ist wichtig, dass die Kinder wissen, wo die Grenzen sind. Und es ist wichtig, dass sie wissen, was passiert, wenn sie diese Grenzen überschreiten.
Das bedeutet nicht, dass man streng sein muss. Es bedeutet, dass man konsequent sein muss. Es bedeutet, dass man die Regeln erklärt und dass man sie durchsetzt. Es bedeutet, dass man seinen Kindern zeigt, dass man sie liebt und dass man sie beschützen möchte.
Die Frage, wie weit man seine Kinder beschützen muss und wo man sie loslassen darf, ist nicht einfach zu beantworten. Es ist eine Frage des Vertrauens. Und es ist eine Frage des Alters. Je älter die Kinder werden, desto mehr Freiheit kann man ihnen geben. Aber man muss immer für sie da sein, wenn sie Hilfe brauchen.
Peer Pressure und riskantes Verhalten: Die Umbauarbeiten im Gehirn
Teenager müssen ein eigenständiges Sozialverhalten lernen – das tun sie am besten im Freundeskreis. Dort üben sie, wie man bei anderen ankommt. Das ist eine schwierige Aufgabe, wenn man gerade erst dabei ist, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, und sich von den Eltern abgrenzt. Der Gruppenzwang („Peer Pressure“) führt oft zu Fehlentscheidungen, zum Beispiel was Drogen, Alkohol, Sprache betrifft. Denn wichtiger, als „es richtig zu machen“, ist es, dazuzugehören. Gegen Ende der Pubertät festigt sich die Identität, und der Gruppendruck spielt keine so große Rolle mehr.
Die Umbauarbeiten im pubertären Gehirn finden nicht in allen Gehirnteilen gleichzeitig statt: So reifen die tieferen emotionalen Zentren wie etwa der Mandelkern (Amygdala) und das Belohnungssystem früher als die Großhirnareale, die die Emotionen und Impulse auf der Vernunftebene kontrollieren. Dies ist auch ein Grund dafür, warum sich gerade Pubertierende oft in riskante Situationen begeben.
Es ist wichtig, mit seinen Kindern über diese Themen zu sprechen. Es ist wichtig, ihnen zu erklären, warum sie sich so fühlen, wie sie sich fühlen. Und es ist wichtig, ihnen zu zeigen, dass man für sie da ist, wenn sie Hilfe brauchen. Es ist eine Zeit des Wandels, eine Zeit der Herausforderungen und eine Zeit der großen Gefühle. Aber es ist auch eine Zeit, die einen als Familie zusammenschweißen kann.
Vier Eltern-Mantras für die Pubertät
Die Familientherapeutin Miriam Flick gibt Eltern vier Mantras mit auf den Weg:
- Lernt zu vertrauen. In die Fähigkeiten und Kompetenzen eurer Kinder. Sie sind von Geburt an eigene Persönlichkeiten. Und sind damit menschlich und sozial kompetente Partner für uns Erwachsene. Wir dürfen sie in ihrer Entwicklung begleiten.
- Gebt nie die Hoffnung auf. Und damit ist nicht die Hoffnung auf Anpassung oder Einsicht nach unseren Vorstellungen gemeint. Sondern die Hoffnung auf Verbindung, Entwicklung und Gleichwürdigkeit.
- Lasst die Leinen los. Aber pflegt die Verbindung. Loslassen bedeutet nicht, die Verbindung zum Kind abzubrechen, wenn es schwierig wird. Loslassen bedeutet, die Kinder so anzunehmen, wie sie sind. Auch wenn es für uns Eltern anstrengend ist. Wir dürfen unsere Vorstellungen loslassen. Zugunsten unserer Kinder.
- Horcht in euch rein. Im Verhältnis zwischen Kindern, heranwachsenden Jugendlichen und Eltern ist es immer sinnvoll, sich als Erwachsener bei Konflikten selbst zu fragen, was gerade los ist, was uns ängstigt, überfordert, wütend macht – oder welchen wunden Punkt das Kind mit seinem Verhalten gerade triggert. Konflikte lassen sich dann deutlich besser, erwachsener und auf Augenhöhe austragen.
Fazit: Die Pubertät als Chance
Die Pubertät ist eine Zeit des Umbruchs, der Herausforderungen und der großen Gefühle. Es ist eine Zeit, in der sich Kinder zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickeln. Als Elternteil steht man oft hilflos daneben und fragt sich, was man tun soll. Aber es gibt Wege, diese Zeit gemeinsam zu meistern. Es braucht Vertrauen, Geduld und die Bereitschaft, loszulassen. Es braucht die Erkenntnis, dass die Pubertät eine Chance ist, als Familie zusammenzuwachsen und die Kinder auf ihrem Weg zu begleiten.
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