Kennst du das Gefühl, wenn dir jemand sagt: „Ach, du bist doch Mutter, das kannst du doch! Du hast doch diesen Instinkt“? Als ob mit der Geburt eines Kindes ein Schalter umgelegt wird und man plötzlich alle Antworten hat. Aber was, wenn dieser Schalter nicht existiert? Was, wenn dieser sogenannte Mutterinstinkt eher eine gesellschaftliche Erwartungshaltung ist, die uns Müttern einen riesigen Rucksack aufbürdet?
Der Mythos Mutterinstinkt: Eine Vorstellung, die Druck erzeugt
Die Vorstellung vom Mutterinstinkt ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Eine Frau wird Mutter, und plötzlich soll sie intuitiv wissen, was zu tun ist. Sie soll das untrügliche Gespür dafür haben, was ihr Baby braucht, und all das ganz natürlich und ohne Anstrengung. Doch diese Vorstellung ist nicht nur realitätsfern, sondern auch gefährlich. Sie setzt Mütter unter enormen Druck, perfekt zu sein und alle Antworten zu kennen. Und was passiert, wenn eine Mutter sich überfordert fühlt, wenn sie nicht sofort eine tiefe Verbindung zu ihrem Kind spürt oder wenn sie einfach nur eine Auszeit braucht? Dann wird sie schnell als „schlechte Mutter“ abgestempelt, weil sie angeblich nicht ihrem Instinkt folgt.
Es ist an der Zeit, diesen Mythos zu entlarven und Elternschaft neu zu denken. Denn die Wahrheit ist: Elternschaft ist ein Lernprozess, der Zeit, Geduld und Unterstützung erfordert – und zwar von beiden Elternteilen. Es geht nicht darum, einem angeborenen Instinkt zu folgen, sondern darum, eine liebevolle und verantwortungsvolle Beziehung zum Kind aufzubauen.
Elternschaft neu denken: Ein Moment der Geborgenheit.
Die Realität sieht anders aus: Mental Load und ungleiche Aufgabenverteilung
Mental Load, Kindererziehung, Stundenreduzierung im Job – all das sind noch immer hauptsächlich Themen, die Frauen betreffen. Obwohl viele Väter heute aktiver sind und die Care-Arbeit gerechter aufgeteilt wird, gibt es immer noch Bereiche, um die sich hauptsächlich Mütter kümmern. Oder anders ausgedrückt: Aufgaben, die Müttern übertragen werden, weil man davon ausgeht, dass sie es ja besser können, allein weil sie Frauen sind und für diese Rolle geboren wurden – mit dem vermeintlichen Mutterinstinkt eben. Diese unausgewogene Aufgabenverteilung führt dazu, dass Mütter oft überlastet und gestresst sind. Sie jonglieren mit Job, Familie und Haushalt und haben kaum Zeit für sich selbst. Und das alles unter dem Druck, perfekt zu sein und allen Erwartungen gerecht zu werden.
Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass Elternschaft eine gemeinsame Aufgabe ist, die beide Partner gleichermaßen betrifft. Es geht darum, Verantwortung zu teilen, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Nur so kann eine Familie wirklich funktionieren und jeder Einzelne – Eltern und Kinder – sich wohlfühlen.
Der Mutterinstinkt als gesellschaftliches Konstrukt: Wer profitiert davon?
Wer Mutter ist, liebt. Und wer liebt, opfert sich auf. Das kann für eine Gesellschaft äußerst praktisch sein, so die Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner in ihrem Buch „Mythos Mutterinstinkt“. Diese Aussage bringt es auf den Punkt: Der Mythos Mutterinstinkt dient oft dazu, Frauen in traditionelle Rollenmuster zu drängen und ihnen die Verantwortung für die Kindererziehung und den Haushalt zuzuschieben. Es ist ein bequemes Konstrukt, das es der Gesellschaft ermöglicht, sich aus der Verantwortung zu ziehen und die Last der Elternschaft hauptsächlich den Müttern aufzubürden. Aber wer profitiert wirklich davon? Sicher nicht die Mütter, die unter dem Druck der Perfektion zusammenbrechen. Und auch nicht die Kinder, die eine ausgeglichene und präsenten Eltern brauchen.
Es ist höchste Zeit, dass wir uns von alten Rollenbildern befreien und Elternschaft neu denken. Wir müssen anerkennen, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, Eltern zu sein, und dass jede Familie ihre eigenen individuellen Lösungen finden muss.
Es ist an der Zeit, dass wir uns von alten Rollenbildern befreien und Elternschaft neu denken. Wir müssen anerkennen, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, Eltern zu sein, und dass jede Familie ihre eigenen individuellen Lösungen finden muss. Es geht darum, sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu lösen und den eigenen Weg zu finden – als Mutter, als Vater und als Familie.
Familienvielfalt: Was ist mit Patchwork, Adoption und gleichgeschlechtlichen Eltern?
Der Mythos Mutterinstinkt schließt bestimmte Familienformen kategorisch aus: Patchwork-Familien, Adoptivfamilien oder Familien mit zwei Vätern. Bedeutet das etwa, dass die Eltern dieser Familienformen weniger enge Bindungen zu ihren Kindern haben können? Dass sie gefühlstechnisch nie an biologische Mütter herankommen könnten? Diese Frage ist nicht nur diskriminierend, sondern auch schlichtweg falsch. Liebe und Fürsorge kennen keine biologischen Grenzen. Elternschaft ist eine Frage der Verantwortung, der Hingabe und der Beziehung – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder biologischer Verwandtschaft.
Es ist wichtig, dass wir uns von veralteten Vorstellungen lösen und die Vielfalt der Familienformen anerkennen. Jede Familie ist einzigartig und hat ihre eigenen Stärken und Herausforderungen. Was zählt, ist die Liebe und Fürsorge, die den Kindern entgegengebracht wird. Und die kann von Müttern, Vätern, Adoptiveltern, Großeltern oder anderen Bezugspersonen kommen.
Moderne Hirnforschung: Was sagt die Wissenschaft zum Mutterinstinkt?
Abgesehen davon, was die Gesellschaft dazu zu sagen hat, gibt es in der modernen Hirnforschung eine ganz eindeutige Richtung, wenn es um diesen Mythos geht. Das haben unter anderem die Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner in ihrem Buch herausgearbeitet. „Wenn wir an den Mutterinstinkt glauben, glauben wir daran, dass nur die biologische Mutter sich richtig um das Kind kümmern kann. Aber wir wissen von Studien, dass das nicht der Fall ist“, sagt Höllrigl Tschaikner.
Die moderne Hirnforschung widerlegt also, dass es den Mutterinstinkt an sich gibt und Mütter diesen angeborenen Instinkt haben. Was jedoch in den Studien festgestellt wurde, ist, dass sich das Gehirn der Mutter während der Schwangerschaft verändert – und das so tiefgreifend, dass es mit der Pubertät bei Jugendlichen vergleichbar ist. Der Begriff, der dadurch entstand, heißt „Muttertät“. Doch ist das ein Zeichen, dass es den Instinkt doch gibt? Nein, sagen die Autorinnen, denn bei jeder Mutter würde die „Muttertät“ individuell und nicht instinktiv verlaufen und gerade die äußeren Einflüsse hätten einen enormen Einfluss darauf, wie sich Frauen in der Mutterrolle einfinden und auf ihr Baby reagieren würden. Was ebenfalls herausgefunden wurde: Auch bei Vätern ist eine Veränderung der Hirnstruktur sichtbar, jedoch erst nach der Geburt des Kindes. Außerdem ist sie abhängig davon ausgeprägt, wie sehr sich ein Vater nach der Geburt einbringt. Eine Gefühlsbindung entsteht also durch engen, intensiven Kontakt – egal ob es die Mutter oder der Vater ist.
„Fürsorgeinstinkt“ statt „Mutterinstinkt“: Eine Frage der Perspektive
Wie können wir uns im Kleinen von diesem Mythos befreien? Allein durch rationale, fundiert recherchierte und dargelegte Fakten lassen sich die wenigsten im Gespräch überzeugen. Vielleicht sind es gerade die nicht traditionellen Beispiele, die das Gegenteil beweisen? Wenn zum Beispiel der Vater von Anfang an in Elternzeit geht und die Frau nach wenigen Wochen wieder arbeitet? Wenn zwei Männer Väter werden und diese Aufgabe ganz wunderbar so meistern? „Man muss sich ja nur Adoptionen anschauen“, sagt Anthropologin Kristen Hawkes dem „National Geographic“. „Es gibt unendliche viele Arten, wie Menschen wirklich starke Bindungen zu Individuen aufbauen können, mit denen sie nicht nah verwandt sind. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Bindung zu einem Baby auf verschiedenste Weise entstehen kann.“
Es ist an der Zeit, dass wir unsere Sprache ändern und von einem „Fürsorgeinstinkt“ statt von einem „Mutterinstinkt“ sprechen. Denn Fürsorge ist keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage der Verantwortung und der Hingabe. Es geht darum, sich aktiv um das Wohl des Kindes zu kümmern, ihm Liebe und Geborgenheit zu schenken und es in seiner Entwicklung zu unterstützen. Und das können Mütter und Väter gleichermaßen tun.
Fazit: Elternschaft neu denken – für eine gerechtere Zukunft
Wir sollten von einem „Fürsorgeinstinkt“ und nicht von einem „Mutterinstinkt“ sprechen, da die Fürsorge laut der Wissenschaft und den Autorinnen Rösler und Höllrigl Tschaikner nicht an ein Geschlecht gekoppelt ist, sondern von der engen Bindung und Fürsorge für das Kind abhängig ist. Es geht um die aktive Übernahme von Verantwortung und Nähe, was eher „Wollen“ statt „Können“ voraussetzt. Plädieren wir doch lieber dafür, Vaterschaft mehr ins Licht zu rücken und dafür zu sorgen, dass die Fürsorgearbeit von Anfang an gerechter aufgeteilt wird. Wenn ich noch einmal den Satz höre, dass Väter gerade am Anfang ja sowieso nicht viel tun können und deswegen auch nicht da sind, sondern lieber wieder viel (oder noch mehr als zuvor) arbeiten, würde ich am liebsten „Halt, stopp!“ rufen. Denn damit, dass sie von Anfang an viel Interesse zeigen, da sind und sich einbringen, wird ihre Bindung zu ihrem Kind logischerweise deutlich gestärkt.
Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, den Mythos Mutterinstinkt zu entlarven und Elternschaft neu zu denken. Für eine Zukunft, in der Mütter nicht unter dem Druck der Perfektion zusammenbrechen, Väter ihre Rolle voll und ganz ausleben können und Kinder in einer liebevollen und unterstützenden Umgebung aufwachsen.
Einige Denkanstöße zum Schluss:
- Reflektiert eure eigenen Erwartungen an euch selbst als Eltern.
- Sprecht offen über eure Gefühle und Bedürfnisse.
- Teilt die Aufgaben fair auf und unterstützt euch gegenseitig.
- Nehmt euch Zeit für euch selbst und eure Partnerschaft.
- Seid stolz auf das, was ihr als Eltern leistet – egal wie euer Weg aussieht.
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