Die Sommerferien sind für viele Kinder die schönste Zeit des Jahres. Sechs Wochen voller Freiheit, später ins Bett gehen, ausschlafen, nach Herzenslust spielen und die Seele baumeln lassen. Doch irgendwann ist auch die längste Ferienzeit vorbei. Der Wecker klingelt wieder unbarmherzig früh, Schulbücher und Hefte wollen eingepackt werden, und der gewohnte Alltagstrott kehrt zurück. Für viele Kinder bedeutet dieser abrupte Wechsel eine erhebliche Belastung – wie eine aktuelle Studie nun eindrucksvoll belegt.
Der stille Stress zum Schuljahresbeginn
Morgens herrscht in vielen Familien zum Schulstart das reinste Chaos. Während Eltern hektisch Frühstück zubereiten, Pausenbrote schmieren und nach verlegten Turnbeuteln suchen, sitzen manche Kinder wie versteinert am Frühstückstisch. Andere wiederum reagieren gereizt oder weinen plötzlich wegen Kleinigkeiten. Was viele Eltern als normale Anlaufschwierigkeiten abtun, ist tatsächlich ein ernstzunehmendes Phänomen: Schulstartangst.
Eine repräsentative Civey-Umfrage unter 1.000 Eltern von Grundschulkindern zwischen sechs und zwölf Jahren hat nun erstmals das Ausmaß dieses Problems offengelegt. Die Ergebnisse sind alarmierend: Jedes zweite Kind empfindet den Schulstart nach den Sommerferien als belastend. Die Zahlen zeigen dabei ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. Während auf dem Land etwa 40 Prozent der Kinder unter Schulstartstress leiden, sind es in städtischen Gebieten sogar 60 Prozent – ein bemerkenswerter Unterschied von 20 Prozentpunkten.
Besonders überraschend: Ausgerechnet Kinder aus bildungsnahen und wohlhabenden Familien scheinen besonders betroffen zu sein. Bei Akademikerkindern liegt die Quote bei 60 Prozent, ebenso bei Kindern aus Familien mit hohem Einkommen. Kinder von Selbstständigen sind mit 54 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich häufig gestresst. Diese Zahlen lassen aufhorchen, denn sie widersprechen der intuitiven Annahme, dass privilegierte Kinder weniger Schulängste haben könnten.
Aber was genau belastet die Kinder so sehr? Die Studie liefert auch hierzu aufschlussreiche Einblicke. Mehr als die Hälfte der befragten Eltern (57 Prozent) gaben an, dass ihre Kinder Schwierigkeiten haben, morgens überhaupt in den Tag zu starten. Der abrupte Wechsel vom entspannten Ferienrhythmus zum straffen Schulalltag überfordert viele Kinder emotional und körperlich. Der Körper, der sich wochenlang an spätes Aufstehen gewöhnt hat, soll plötzlich wieder um 6:30 Uhr funktionieren – eine Umstellung, die selbst vielen Erwachsenen schwerfällt.
Die emotionale Achterbahn der Schulanfangszeit
Die Symptome des Schulstartstresses sind vielfältig und betreffen das emotionale Wohlbefinden der Kinder erheblich. Laut der Studie leidet mehr als ein Viertel der Grundschüler (27 Prozent) unter deutlich erhöhter Reizbarkeit. Sie fühlen sich angespannt und überfordert, reagieren auf kleinste Anlässe mit unverhältnismäßigen emotionalen Ausbrüchen. Eine Mutter berichtet: „Mein Sohn, normalerweise ein ausgeglichenes Kind, weinte plötzlich, weil sein Lieblingsmüsli alle war. In den Ferien hätte er einfach etwas anderes gegessen, aber in der ersten Schulwoche war das für ihn eine Katastrophe.“
Fast ebenso viele Kinder (26 Prozent) haben Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle und zeigen eine mangelnde Aufmerksamkeitsspanne. Sie können sich nicht konzentrieren, sind unruhig und schaffen es kaum, dem Unterricht zu folgen. Was in den ersten Schulwochen besonders problematisch ist, da hier oft wichtige Grundlagen für das kommende Schuljahr gelegt werden. Jennifer Meißner, Gründerin der Entspannungs-App „Super Chill“ für Kinder, bringt es auf den Punkt: „Der Schulstart sorgt in Familien oft für unsichtbaren Stress – besonders für die Jüngsten. Wenn morgendliches Chaos, emotionale Überforderung und schulischer Leistungsdruck zusammenkommen, gerät der Familienalltag aus dem Gleichgewicht und die Nerven liegen schnell blank.“
Der abrupte Wechsel von der Ferienfreiheit zum strukturierten Schulalltag ist für Kinder nicht nur eine organisatorische, sondern vor allem eine emotionale Herausforderung, die wir als Gesellschaft endlich ernst nehmen müssen.
Auch der zurückkehrende Leistungsdruck stellt für viele Kinder eine erhebliche Belastung dar. Etwa ein Viertel der befragten Eltern gab an, dass ihre Kinder unter den schulischen Anforderungen leiden. Nach Wochen ohne Hausaufgaben, Tests und Leistungsbewertungen müssen sich die Kinder plötzlich wieder dem ständigen Vergleich und der Bewertung stellen. Hinzu kommen soziale Herausforderungen: Wer sitzt neben wem? Haben sich Freundschaften während der Ferien verändert? Gibt es neue Klassenkameraden? All diese Fragen können zusätzlichen Stress verursachen.
Wenn Eltern an ihre Grenzen kommen
Die emotionalen Turbulenzen der Kinder stellen auch die Eltern vor große Herausforderungen. Besonders am Morgen, wenn alle unter Zeitdruck stehen und selbst gestresst sind, fällt es schwer, angemessen auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Die Studie zeigt, dass mehr als jedem fünften Elternteil die Kommunikation über Gefühle mit ihren Kindern schwerfällt. 26 Prozent der befragten Eltern gaben sogar an, oft ratlos zu sein, wie sie mit den Belastungen ihrer Kinder umgehen sollen.
Besonders herausfordernd wird es, wenn Kinder unter sozialen Ängsten leiden, etwa Angst haben, von Mitschülern ausgeschlossen zu werden oder sich vor der Lehrerin zu blamieren. Auch Trennungssituationen – sei es durch eine tatsächliche Trennung der Eltern oder einfach durch die Trennung von der vertrauten häuslichen Umgebung – können Kinder stark belasten. In solchen Momenten wünschen sich viele Eltern konkrete Handlungsstrategien.
Ein weiteres Problem: Viele Eltern sind selbst im Stress, wenn der Arbeitsalltag nach den Ferien wieder beginnt. Meetings, Projekte und Deadlines fordern ihre Aufmerksamkeit, während gleichzeitig zu Hause ein emotional bedürftiges Kind Unterstützung braucht. Diese Doppelbelastung kann schnell zu Überforderung führen. Eine berufstätige Mutter beschreibt ihre Situation so: „Morgens bin ich hin- und hergerissen zwischen meinem weinenden Kind, das nicht in die Schule will, und dem Blick auf die Uhr, weil ich pünktlich im Büro sein muss. In solchen Momenten fühle ich mich, als würde ich beiden nicht gerecht werden.“
Neun bewährte Strategien für einen entspannten Schulstart
Doch es gibt Hoffnung! Mit der richtigen Vorbereitung und einigen gezielten Maßnahmen lässt sich der Übergang von der Ferienzeit zum Schulalltag deutlich entspannter gestalten. Experten haben wirksame Strategien entwickelt, die Eltern und Kindern helfen können, diese herausfordernde Zeit besser zu bewältigen. Hier sind neun praxiserprobte Tipps:
1. Alltag und Routinen schrittweise wieder einführen
Bereits in den letzten ein bis zwei Ferienwochen sollte der Schulrhythmus langsam wieder eingeführt werden. Kinder können jeden Tag etwas früher ins Bett gehen und entsprechend früher aufstehen. Auch regelmäßige Mahlzeiten zu festen Zeiten helfen dem Körper, sich auf den Schulrhythmus einzustellen. Besonders wirksam: Führen Sie ein kleines Frühstücksritual ein, das dann auch im Schulalltag beibehalten wird.
2. Sorgen ansprechen – aber positiv gestalten
Anstatt das Schuljahr mit Sätzen wie „Jetzt geht der Ernst des Lebens wieder los“ einzuläuten, sollten Eltern bewusst den Fokus auf positive Aspekte lenken. Fragen wie „Worauf freust du dich in der Schule?“ oder „Was möchtest du in diesem Schuljahr Neues lernen?“ regen Kinder an, eine positive Haltung zu entwickeln. Gemeinsam kann man kleine Ziele für das neue Schuljahr formulieren, auf die sich das Kind freuen kann.
3. Schulsachen checken – mit Freude und Vorbereitung
Ein funktionierender Schultag beginnt mit vollständigem Material. Eltern sollten gemeinsam mit ihren Kindern Hefte, Stifte und Mäppchen überprüfen und den Schulranzen packen, idealerweise schon einige Tage vor dem ersten Schultag. Das schafft Sicherheit und kann sogar Vorfreude wecken, besonders wenn neue Schulmaterialien dabei sind. Ein liebevoll geschriebener Zettel im Schulranzen oder ein kleines Überraschungsgeschenk zum Schulstart kann zusätzlich motivieren.
Morgenroutinen, die den Tag positiv beginnen lassen
4. Sanfter Start am Morgen – mit Musik, Licht und Ritual
Der Morgen setzt den Ton für den gesamten Tag. Statt schriller Wecker können sanfte Klänge oder die Lieblingsmusik des Kindes den Tag einläuten. Helles Licht am Morgen hilft dem Körper, das Schlafhormon Melatonin zu reduzieren und wach zu werden. Öffnen Sie die Vorhänge weit oder schalten Sie das Licht an, sobald das Kind aufsteht. Kleine Morgenrituale wie eine kurze Kuschelzeit oder ein gemeinsamer Spruch können zusätzlich für gute Stimmung sorgen.
5. Gemeinsam gesund frühstücken
Ein ausgewogenes Frühstück liefert die nötige Energie für den Schulvormittag. Wenn Eltern sich Zeit nehmen, mit ihren Kindern gemeinsam zu frühstücken, stärkt das zugleich die emotionale Verbindung. Lassen Sie Ihr Kind bei der Auswahl des Frühstücks mitentscheiden und bereiten Sie es wenn möglich gemeinsam zu. Vermeiden Sie dabei Diskussionen über Schulthemen, die Stress auslösen könnten, und nutzen Sie die Zeit stattdessen für angenehme Gespräche.
6. Ferienrituale ins Schuljahr übertragen
Was hat Ihrem Kind in den Ferien besonders gut gefallen? War es die tägliche Vorlesezeit, das gemeinsame Spielen oder vielleicht das Kochen? Versuchen Sie, einige dieser besonderen Momente in den Schulalltag zu integrieren. Wenn in den Ferien beispielsweise jeden Abend vorgelesen wurde, könnten Sie dieses Ritual beibehalten, auch wenn es zeitlich etwas kürzer ausfallen muss. Solche Kontinuitäten geben Kindern emotionale Sicherheit und lassen die Ferienfreude ein Stück weit weiterleben.
Emotionale Unterstützung und soziale Verbindungen stärken
7. Emotionale Begleitung – Zuhören, Lob und Sicherheit geben
Kinder brauchen das Gefühl, mit ihren Sorgen und Ängsten nicht allein zu sein. Fragen Sie nach, wie der Schultag war, aber drängen Sie nicht, wenn Ihr Kind nicht sofort antworten möchte. Manchmal brauchen Kinder erst etwas Zeit, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Loben Sie auch kleine Erfolge und Fortschritte, um das Selbstvertrauen zu stärken. Versichern Sie Ihrem Kind, dass anfängliche Schwierigkeiten normal sind und Sie gemeinsam Lösungen finden werden.
8. Sozialen Anschluss ermöglichen
Nach der Ferienpause hilft es Kindern, wieder Kontakt zu Schulfreunden aufzunehmen. Organisieren Sie wenn möglich noch vor Schulbeginn ein Treffen mit Klassenkameraden oder ermöglichen Sie Ihrem Kind, Erlebnisse aus den Ferien zu teilen, etwa durch Fotos oder kleine Mitbringsel. Dies erleichtert den Wiedereinstieg in die Klassengemeinschaft. Bei jüngeren Kindern oder Schulwechslern kann es hilfreich sein, den Schulweg vorher gemeinsam zu üben oder die neue Umgebung zu erkunden.
9. Für Entspannung sorgen
Meditation, Kinderyoga oder Traumreisen können Kindern helfen, Stress abzubauen und zur Ruhe zu kommen. Es gibt zahlreiche kindgerechte Entspannungsübungen auf YouTube, in Apps oder bei Musik-Streaming-Diensten. Auch gemeinsame Bewegung an der frischen Luft nach der Schule kann Anspannungen lösen. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind nach der Schule ausreichend Zeit hat, um sich zu erholen, bevor Hausaufgaben oder andere Verpflichtungen anstehen.
Besondere Herausforderungen meistern
Für manche Kinder ist der Schulstart mit besonderen Herausforderungen verbunden. Bei Einschulung, Schulwechsel oder nach einem schwierigen Vorjahr können die Ängste besonders ausgeprägt sein. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, bereits vor Schulbeginn mit Lehrern oder Schulpsychologen zu sprechen und gemeinsam Strategien zu entwickeln.
Bei anhaltenden Problemen sollten Eltern nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schulpsychologen, Beratungsstellen oder Kinderpsychologen können wertvolle Unterstützung bieten. Wichtig ist, Schulverweigerung oder massive Angstsymptome ernst zu nehmen und nicht als „Trotzphase“ abzutun.
Ein oft unterschätzter Faktor ist ausreichend Schlaf. Grundschulkinder benötigen etwa 10-11 Stunden Schlaf pro Nacht, um ausgeruht und leistungsfähig zu sein. In den ersten Schulwochen sind viele Kinder besonders müde, da die Verarbeitung der neuen Eindrücke zusätzliche Energie kostet. Ein früher Zubettgeh-Zeitpunkt und eventuell eine kurze Ruhephase am Nachmittag können helfen, diese Erschöpfung auszugleichen.
Fazit: Mit Verständnis und Vorbereitung durch die Übergangszeit
Der Schulstart nach den Sommerferien ist für viele Kinder und Familien eine herausfordernde Zeit. Die aktuelle Studie zeigt deutlich, dass es sich dabei nicht um ein Randphänomen handelt, sondern um eine weit verbreitete Belastungssituation, die jedes zweite Kind betrifft. Besonders in städtischen Gebieten und in bildungsnahen Familien scheint der Druck besonders hoch zu sein.
Mit gezielter Vorbereitung, schrittweiser Wiedereinführung von Routinen und emotionaler Unterstützung können Eltern ihren Kindern jedoch helfen, diese Übergangsphase besser zu bewältigen. Wichtig ist vor allem, die Gefühle und Sorgen der Kinder ernst zu nehmen und ihnen das Gefühl zu geben, nicht allein damit zu sein.
Die ersten Schulwochen sind eine Zeit der Anpassung – für Kinder ebenso wie für Eltern. Mit etwas Geduld, Verständnis und den richtigen Strategien kann diese Zeit jedoch nicht nur überstanden, sondern als Gelegenheit genutzt werden, um Kinder in ihrer Resilienz und Anpassungsfähigkeit zu stärken. Und wer weiß – vielleicht freuen sich manche Kinder nach der Eingewöhnungsphase sogar wieder auf die Schule, die Freunde und all die spannenden Dinge, die es im neuen Schuljahr zu entdecken gibt.
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