Trauernde Geschwisterkinder: Wie wir sie unterstützen können

Wenn ein Kind stirbt, steht die Welt still – zumindest für die Eltern. Doch inmitten des unendlichen Schmerzes und der überwältigenden Trauer gibt es noch andere Kinder, die ebenfalls einen Verlust erleiden: die Geschwister. Oftmals übersehen, kämpfen sie still und leise mit ihren eigenen Gefühlen, während die Aufmerksamkeit der Familie und des Umfelds hauptsächlich den Eltern und dem verstorbenen Kind gilt. Doch wie trauern Geschwisterkinder wirklich? Und was können wir als Eltern, Angehörige oder Freunde tun, um ihnen in dieser schweren Zeit beizustehen?

Die unsichtbare Trauer der Geschwister

Der Tod eines Kindes ist eine der traumatischsten Erfahrungen, die Eltern durchleben können. In ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung ist es verständlich, dass sie sich auf ihre eigene Trauer konzentrieren müssen. Doch gerade in dieser Zeit ist es wichtig, die Bedürfnisse der anderen Kinder in der Familie nicht zu vergessen. Geschwisterkinder trauern anders als Erwachsene. Ihre Trauer ist oft komplexer und vielschichtiger, geprägt von Gefühlen wie Schuld, Eifersucht, Verwirrung und Angst. Sie fühlen sich möglicherweise unsichtbar, vernachlässigt oder sogar schuldig am Tod des Bruders oder der Schwester. Mechthild Schroeter-Rupieper, Gründerin der Familientrauerarbeit und Leiterin der „LAVIA Familientrauerbegleitung“, betont, dass Geschwisterkinder oft das Gefühl haben, „lieb sein und die Eltern unterstützen“ zu müssen. Ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle werden dabei leicht übersehen.

Es ist ein stiller Schmerz, der sich oft hinter einer Fassade der Stärke oder des Unverständnisses verbirgt. Während die Eltern mit ihrem Verlust ringen, versuchen die Geschwisterkinder, ihren Platz in der Familie neu zu definieren. Sie beobachten die Trauer der Eltern, fühlen sich hilflos und fragen sich, wie sie helfen können. Gleichzeitig haben sie Angst, die Eltern noch mehr zu belasten, und unterdrücken ihre eigenen Gefühle. Diese innere Zerrissenheit kann zu einer enormen Belastung werden und sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen äußern.

Wie Geschwisterkinder trauern – eine „ver-rückte“ Gefühlswelt

Die Trauer von Geschwisterkindern ist so individuell wie die Kinder selbst. Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein „normales“ oder „unnormales“ Trauerverhalten. Die Reaktionen können von offenem Ausdruck der Trauer bis hin zu scheinbarer Gleichgültigkeit reichen. Einige Kinder ziehen sich zurück, werden still und in sich gekehrt, während andere plötzlich aggressiv oder aufsässig werden. Manche entwickeln Ängste, Schlafstörungen oder psychosomatische Beschwerden. Wieder andere versuchen, die Rolle des verstorbenen Kindes einzunehmen oder die Eltern aufzuheitern, indem sie besonders brav und angepasst sind.

Trauernde Geschwisterkinder

Geschwister halten sich tröstend in den Armen – ein Bild der emotionalen Verbundenheit inmitten familiärer Trauer.

Mechthild Schroeter-Rupieper beschreibt die Reaktionen trauernder Geschwisterkinder als „ver-rückt“. Diese „Verrücktheit“ ist jedoch völlig normal und Ausdruck ihrer inneren Not. Es ist wichtig, diese Reaktionen nicht zu bewerten oder zu verurteilen, sondern sie als Hilferuf zu verstehen. Einige Beispiele, die Schroeter-Rupieper in ihrer Arbeit mit trauernden Familien erlebt hat, verdeutlichen die Vielfalt der kindlichen Trauer:

  • Die fünfjährige Emilia zuckte mit den Schultern, als sie hörte, der kleine Bruder würde sterben. „Macht nix“, sagte sie. „Zum Glück habe ich ja noch meine Freundinnen zum Spielen.“
  • Clara, die als 13-Jährige froh war, dass die ewig meckernde ältere Schwester nicht mehr den Familienfrieden stören konnte, trauerte zwei Jahre später um die Zeit, die sie nach der Pubertät nie mehr miteinander haben würden.
  • Jannik sagt: „Es ist ungerecht! Obwohl mein Bruder früher auch viel Mist gemacht hat, reden sie heute von ihm, als wäre er ein Engel gewesen.“
  • Lars sagt: „Am liebsten wäre ich auch tot. Dann würdet ihr mich auch vermissen.“
  • Luise sagt: „Vielleicht wäre es besser, ich lieber tot und nicht meine Schwester. Dann wären Mama und Papa vielleicht nicht so traurig wie sie es jetzt sind.“
  • Die 7-jährige Sina tanzte vor ihren Eltern und sagte immer wieder: „Ihr müsst nicht traurig sein! Zum Glück habt ihr mich ja noch!“
  • Die 8-jährige Luzie findet es sehr ungerecht, dass ihr sterbenskranker Bruder alle Wünsche erfüllt bekommt. Er darf zum Beispiel drei Hamburger bestellen, während ihr gesagt wird, sie solle etwas bescheidener sein.
  • Lara stirbt mit 13 Jahren, ihre Schwester Johanna war damals 11, der Bruder Ben 9 Jahre alt. Fünf Jahre später haben die jüngeren Geschwister die tote Schwester altersmäßig überholt. Beide benennen, dass Lara gefühlsmäßig noch immer ihre große Schwester ist. Und das bleibt sie auch.
  • Lea ist 15. Bevor ihr kleiner Bruder starb, hatte er so starke Schmerzen, dass Lea manchmal dachte: „Es wäre besser, du bist tot. Dann tut dir nichts mehr weh.“ Als der Bruder starb, fühlte sich Lea aufgrund ihrer Gedanken mitschuldig am Tod. Sie erzählte es nicht den Eltern, sondern erst später in der Trauerbegleitung.

Die Bedürfnisse der Geschwisterkinder – was sie wirklich brauchen

Was also können wir tun, um trauernde Geschwisterkinder zu unterstützen? Zunächst einmal ist es wichtig, ihre Trauer anzuerkennen und ihnen Raum zu geben, ihre Gefühle auszudrücken. Das bedeutet, ihnen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihre Reaktionen nicht zu bewerten. Es bedeutet auch, geduldig zu sein und zu verstehen, dass Trauer Zeit braucht. Kinder trauern oft in Schüben, mal intensiver, mal weniger. Es ist wichtig, ihnen zu signalisieren, dass es in Ordnung ist, traurig zu sein, aber auch, dass es in Ordnung ist, fröhlich zu sein und Spaß zu haben.

Es ist ebenso entscheidend, den Kindern das Gefühl zu geben, dass sie nicht vergessen werden. Eltern sollten sich bewusst Zeit für jedes einzelne Kind nehmen, ihm ungeteilte Aufmerksamkeit schenken und ihm versichern, dass es geliebt und wertgeschätzt wird. Gemeinsame Aktivitäten, wie Spieleabende, Ausflüge oder einfach nur kuscheln auf dem Sofa, können helfen, die Bindung zu stärken und den Kindern das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Wichtig ist auch, offen über den Tod des Bruders oder der Schwester zu sprechen. Kinder haben viele Fragen und Ängste, die sie nur dann bewältigen können, wenn sie die Möglichkeit haben, darüber zu reden. Eltern sollten ehrlich und altersgerecht antworten und den Kindern erklären, was passiert ist. Dabei können Bilderbücher oder andere kindgerechte Materialien helfen.

Das Weiterleben junger Familien nach einem großen Verlust gelingt am besten, wenn Eltern pädagogische Hilfe mit Trauerwissen von außen hinzuziehen, um Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten.

Diese Aussage von Mechthild Schroeter-Rupieper fasst die Notwendigkeit zusammen, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um den komplexen Herausforderungen der Trauerbewältigung innerhalb der Familie zu begegnen. Es geht darum, den Eltern Werkzeuge und Wissen an die Hand zu geben, damit sie ihre Kinder bestmöglich unterstützen und gleichzeitig ihren eigenen Bedürfnissen gerecht werden können.

Eltern müssen sich selbst zugestehen, dass sie in dieser Situation möglicherweise überfordert sind und Hilfe von außen benötigen. Familientrauerbegleitung, psychologische Beratung oder der Austausch mit anderen betroffenen Familien können wertvolle Unterstützung bieten. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass man nicht allein ist und dass es viele Menschen gibt, die helfen können.

Tipps für trauernde Eltern – die lebenden Kinder nicht übersehen

Für trauernde Eltern ist es eine enorme Herausforderung, den Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden. Hier sind einige Tipps, die helfen können:

  • Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst: Nur wer auf sich selbst achtet, kann auch für andere da sein. Gönnen Sie sich Pausen, suchen Sie sich Unterstützung und tun Sie Dinge, die Ihnen guttun.
  • Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Partnerschaft: Auch die Beziehung zum Partner leidet unter dem Verlust. Nehmen Sie sich Zeit füreinander, reden Sie miteinander und unterstützen Sie sich gegenseitig.
  • Nehmen Sie sich Zeit für jedes einzelne Kind: Schenken Sie jedem Kind ungeteilte Aufmerksamkeit und zeigen Sie ihm, dass es geliebt und wertgeschätzt wird.
  • Seien Sie ehrlich und offen: Sprechen Sie mit Ihren Kindern über den Tod des Bruders oder der Schwester und beantworten Sie ihre Fragen ehrlich und altersgerecht.
  • Seien Sie geduldig: Trauer braucht Zeit. Geben Sie Ihren Kindern die Zeit, die sie brauchen, um zu trauern, und seien Sie geduldig mit ihren Reaktionen.
  • Suchen Sie sich Hilfe: Scheuen Sie sich nicht, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn Sie sich überfordert fühlen.

Es ist ein Balanceakt, der viel Kraft und Energie erfordert. Aber es ist möglich, den Weg aus der Trauer zu finden und als Familie wieder zusammenzufinden. Wichtig ist, dass alle Familienmitglieder die Möglichkeit haben, ihre Trauer auszudrücken und sich gegenseitig zu unterstützen.

Was sich Familientrauerbegleiter wünschen – ein Platz für Trauer in der Gesellschaft

Mechthild Schroeter-Rupieper wünscht sich, dass der Umgang mit Trauer in unserem Bildungssystem einen festen Platz bekommt. Wenn Kinder und Jugendliche schon früh lernen, was Trauer bedeutet und wie man mit ihr umgeht, können sie besser mit Verlusten umgehen und anderen Menschen in Trauer beistehen. Sie betont, dass Geschwisterkinder in ihrem „Ganzen“ gesehen werden sollen, nicht nur in ihrer Trauer. Sie sind mehr als nur „die Geschwister des verstorbenen Kindes“. Sie haben eigene Persönlichkeiten, eigene Interessen und eigene Bedürfnisse. Es ist wichtig, diese zu fördern und ihnen zu helfen, ihren eigenen Weg zu finden.

Fazit: Die Trauer der Geschwisterkinder verstehen und begleiten

Die Trauer von Geschwisterkindern ist oft unsichtbar, aber nicht weniger schmerzhaft. Sie ist geprägt von komplexen Gefühlen wie Schuld, Eifersucht, Verwirrung und Angst. Um trauernde Geschwisterkinder zu unterstützen, ist es wichtig, ihre Trauer anzuerkennen, ihnen Raum zu geben, ihre Gefühle auszudrücken, und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht vergessen werden. Eltern sollten sich bewusst Zeit für jedes einzelne Kind nehmen, offen über den Tod des Bruders oder der Schwester sprechen und sich bei Bedarf professionelle Hilfe suchen. Es ist ein langer und schwieriger Weg, aber mit Geduld, Liebe und Unterstützung können trauernde Familien wieder zusammenfinden und einen Weg des Weiterlebens finden. Die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Trauer sollte in unserer Gesellschaft offener und selbstverständlicher werden, damit wir alle besser in der Lage sind, mit Verlusten umzugehen und anderen Menschen in Trauer beizustehen.

QUELLEN

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