In den dunkelsten Stunden des Lebens, wenn der Verlust eines Kindes eine unvorstellbare Leere hinterlässt, stehen Eltern vor einer Zerreißprobe. Nicht nur die individuelle Trauer, sondern auch die Beziehung als Paar wird auf eine harte Probe gestellt. Wie können Paare in dieser Zeit der tiefsten Verzweiflung zusammenhalten und sich nicht in ihren unterschiedlichen Trauerprozessen verlieren? Der Trauerbegleiter Thomas Achenbach gibt Einblicke und Ratschläge, die den Weg durch diese schwere Zeit erleichtern können.
Die unterschiedliche Trauer von Mann und Frau
Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass Männer und Frauen gleich trauern. Thomas Achenbach, Autor des Buches „Männer trauern anders“, betont im Interview, dass es zwar Unterschiede gibt, diese aber nicht pauschalisiert werden dürfen. Generation, Herkunft, Vorbilder und familiäre Prägung spielen eine entscheidende Rolle. Dennoch beobachtet er häufiger eine Art Erstarrung bei Männern, besonders in der ersten Schockphase. Diese Erstarrung kann sich in emotionaler Distanzierung oder dem Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten, äußern. Frauen hingegen neigen oft dazu, ihre Gefühle offener zu zeigen und suchen eher den Austausch mit anderen. Diese unterschiedlichen Bewältigungsstrategien können zu Missverständnissen und Konflikten führen, wenn sie nicht erkannt und respektiert werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass beide Geschlechter auf ihre Weise versuchen, mit dem Schmerz umzugehen, und dass es kein „richtig“ oder „falsch“ gibt.
Die Kommunikation wird zum Schlüssel in dieser schwierigen Phase. Offene Gespräche, in denen beide Partner ihre Gefühle und Bedürfnisse äußern können, sind essentiell. Dabei sollte es nicht darum gehen, den anderen zu verändern oder zu bewerten, sondern vielmehr darum, Verständnis und Akzeptanz zu zeigen. Es ist hilfreich, sich daran zu erinnern, dass man im selben Boot sitzt und gemeinsam versucht, einen Weg aus der Dunkelheit zu finden. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Kommunikation zu erleichtern und neue Perspektiven zu gewinnen. Eine Paartherapie oder Trauerbegleitung kann dabei helfen, die eigenen Gefühle besser zu verstehen und konstruktive Wege zu finden, mit dem Verlust umzugehen.
Eine Studie der Universität Zürich hat gezeigt, dass Paare, die offen über ihre Trauer sprechen und sich gegenseitig unterstützen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ihre Beziehung zu erhalten. Die Studie ergab auch, dass Paare, die sich in ihre Arbeit oder andere Ablenkungen flüchten, um dem Schmerz zu entkommen, eher Schwierigkeiten haben, ihre Beziehung zu stabilisieren. Es ist also wichtig, sich der Trauer zu stellen und sie gemeinsam zu bewältigen, auch wenn es schwerfällt.
Selbstrettung als erster Schritt
Inmitten des Schmerzes und der Trauer ist es fast unmöglich, dem Partner in vollem Umfang beizustehen. Achenbach vergleicht dies mit der Situation im Flugzeug: „Ich muss zuerst mir selbst die Atemmaske aufsetzen, bevor ich überhaupt an andere denken kann.“ Diese Metapher verdeutlicht, dass Selbstfürsorge in dieser Zeit von größter Bedeutung ist. Man kann dem Partner nur dann eine Stütze sein, wenn man selbst stabil ist. Das bedeutet, sich Zeit für die eigenen Bedürfnisse zu nehmen, sei es durch Sport, Meditation, kreative Tätigkeiten oder einfach nur durch Momente der Stille. Es ist wichtig, sich nicht von Schuldgefühlen überwältigen zu lassen, wenn man sich eine Auszeit nimmt. Im Gegenteil, diese Auszeiten sind notwendig, um neue Kraft zu tanken und dem Partner anschließend wieder mitfühlend und unterstützend zur Seite stehen zu können.
Es ist ein Irrglaube, dass Trauer bewältigt werden muss. Vielmehr geht es darum, sie auszuleben und zu akzeptieren. Trauer ist ein Prozess, der Zeit braucht und keine Abkürzungen kennt. Jeder Mensch trauert anders und in seinem eigenen Tempo. Es ist wichtig, sich selbst und dem Partner diese Zeit zu geben und sich nicht von äußeren Erwartungen unter Druck setzen zu lassen. Es gibt keine „richtige“ Art zu trauern, und es ist in Ordnung, wenn man sich an manchen Tagen besser und an anderen schlechter fühlt. Die Trauer wird immer ein Teil des Lebens bleiben, aber mit der Zeit wird sie erträglicher und man lernt, mit ihr umzugehen.
Trauer ist Liebe, deren Zustand sich physikalisch verändert hat, deren Intensität aber bleiben wird.
Diese Worte von Thomas Achenbach fassen die Essenz der Trauer treffend zusammen. Sie erinnern uns daran, dass die Liebe zu dem verlorenen Kind nicht verschwindet, sondern lediglich eine andere Form annimmt. Diese Liebe kann eine Quelle der Kraft und Inspiration sein, um weiterzuleben und dem Leben einen neuen Sinn zu geben. Es ist wichtig, diese Liebe zu ehren und sie in Erinnerungen, Ritualen und neuen Projekten lebendig zu halten. Die Trauer mag schmerzhaft sein, aber sie ist auch ein Ausdruck der tiefen Verbundenheit und Liebe, die man für das verlorene Kind empfindet.
Paare in der Trauer: Wie gemeinsame Momente Trost spenden und die Bindung stärken können. Ein Bild des Zusammenhalts in der Natur.
Die Paarzeit darf mitleiden
Es ist normal, dass die Paarbeziehung unter der Trauer leidet. Sich das einzugestehen, ist ein wichtiger Schritt. Der Druck, als Paar einen gemeinsamen Trauerweg gehen zu müssen, kann erdrückend sein. Achenbach warnt davor, die Beziehung in den ersten Jahren der Trauer zu überfrachten. Es ist wichtig, realistische Erwartungen zu haben und zu akzeptieren, dass die Paarzeit erst einmal „mitleiden“ darf. Das bedeutet nicht, dass die Beziehung zerbrechen muss, sondern vielmehr, dass sie sich verändert und neue Wege finden muss, um zu bestehen. Es ist hilfreich, sich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, die die Beziehung ausmachen, wie gemeinsame Mahlzeiten, Spaziergänge oder einfach nur das Zusammensein. Auch wenn die Gespräche nicht immer einfach sind, ist es wichtig, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren und sich gegenseitig zu zeigen, dass man füreinander da ist.
Es kann auch hilfreich sein, neue gemeinsame Interessen zu entdecken oder alte wieder aufleben zu lassen. Dies kann eine Möglichkeit sein, dem Alltag zu entfliehen und neue positive Erfahrungen zu sammeln. Es ist wichtig, sich nicht in der Trauer zu verlieren, sondern auch Raum für Freude und Leichtigkeit zu schaffen. Dies bedeutet nicht, dass man das verlorene Kind vergisst, sondern vielmehr, dass man lernt, mit dem Verlust zu leben und dem Leben wieder eine Chance zu geben. Die Paarbeziehung kann durch die Trauer sogar gestärkt werden, wenn beide Partner bereit sind, sich aufeinander einzulassen und gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten.
Gemeinsame Erinnerungsrituale
Rituale können eine wichtige Rolle bei der Trauerbewältigung spielen. Sie geben Struktur und Halt in einer Zeit der Unsicherheit und des Schmerzes. Gemeinsame Erinnerungsrituale können Paaren helfen, ihre Verbundenheit zu stärken und dem verlorenen Kind einen Platz im Leben zu geben. Dies kann das gemeinsame Besuchen des Grabes sein, das Anzünden einer Kerze, das Betrachten von Fotos oder das Erzählen von Geschichten über das Kind. Es ist wichtig, Rituale zu finden, die beiden Partnern guttun und die sie gemeinsam gestalten können. Dabei sollte man darauf achten, dass die Rituale nicht zur Belastung werden, sondern vielmehr eine Quelle des Trostes und der Kraft sind. Es kann auch hilfreich sein, neue Rituale zu entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen und Vorlieben entsprechen. Die Gestaltung eines Gedenkplatzes im Haus oder im Garten, das Schreiben von Briefen an das Kind oder das Spenden an eine wohltätige Organisation im Namen des Kindes können Möglichkeiten sein, die Erinnerung lebendig zu halten und dem Leben einen neuen Sinn zu geben.
Es ist verständlich, dass die Frage nach dem „Wie weiterleben?“ quälend ist. Achenbach ermutigt dazu, auf die eigene Intuition zu hören und alles zuzulassen, was ist. Der Schmerz darf sein, und die Wunde braucht Zeit, um zu vernarben. Die Narbe wird bleiben, aber sie wird mit der Zeit weniger schmerzhaft. Es ist wichtig, sich nicht von anderen drängen zu lassen, etwas zu tun, was sich nicht richtig anfühlt. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg der Trauerbewältigung, und es gibt keine allgemeingültige Lösung. Es ist hilfreich, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und von ihren Erfahrungen zu lernen. Selbsthilfegruppen oder Online-Foren können eine wertvolle Unterstützung sein, um sich verstanden und nicht allein zu fühlen. Es ist auch wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn man das Gefühl hat, mit der Trauer nicht mehr alleine zurechtzukommen. Ein Therapeut oder Trauerbegleiter kann dabei helfen, die eigenen Gefühle zu verarbeiten und neue Perspektiven zu gewinnen.
Fazit: Gemeinsam durch die Trauer
Der Verlust eines Kindes ist eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, die ein Paar durchleben kann. Die Trauer ist individuell und kann sich bei Mann und Frau unterschiedlich äußern. Es ist wichtig, die Unterschiede zu akzeptieren und sich gegenseitig Raum für die eigene Trauer zu geben. Selbstfürsorge ist essentiell, um dem Partner eine Stütze sein zu können. Die Paarzeit darf mitleiden, und es ist wichtig, realistische Erwartungen zu haben. Gemeinsame Erinnerungsrituale können die Verbundenheit stärken und dem verlorenen Kind einen Platz im Leben geben. Hören Sie auf Ihre Intuition und lassen Sie alles zu, was ist. Der Schmerz darf sein, und die Wunde braucht Zeit, um zu heilen. Mit der Zeit wird die Narbe weniger schmerzhaft, und Sie werden lernen, mit dem Verlust zu leben und dem Leben wieder einen Sinn zu geben.
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