Mobbing bei Kindern erkennen: Anzeichen und Handlungsstrategien für Eltern

Es beginnt oft schleichend, mit kleinen Sticheleien, die man leicht übersehen könnte. Ein spöttischer Kommentar hier, ein abfälliger Blick da. Doch was harmlos erscheint, kann sich zu einem zerstörerischen Strudel aus Hänseleien, Ausgrenzung und Demütigungen entwickeln: Mobbing. Und während die Kinder schweigen, weil sie sich schämen, Angst haben oder einfach nicht wissen, wem sie sich anvertrauen sollen, leiden sie still vor sich hin. Für Mütter ist es oft ein Albtraum: Das eigene Kind ist betroffen, aber man bekommt es nicht mit. Wie also können wir, die wir unsere Kinder so gut kennen, die Anzeichen erkennen, bevor es zu spät ist?

Die stille Qual: Wenn Hänseleien zur Tortur werden

Stell dir vor, deine Tochter, die sonst fröhlich und aufgeweckt ist, kommt plötzlich still und in sich gekehrt von der Schule nach Hause. Sie zieht sich in ihr Zimmer zurück, will nicht mehr mit der Familie zu Abend essen, und auf deine Fragen antwortet sie nur mit einem Achselzucken. Oder dein Sohn, der begeisterte Fußballer, verliert plötzlich die Lust am Training, klagt über Bauchschmerzen, sobald der Name seines Teams fällt, und weigert sich, Geburtstagsfeiern seiner Mannschaftskameraden zu besuchen. Sind das nur vorübergehende Launen, die Pubertät oder steckt mehr dahinter? Die Wahrheit ist: Mobbing kann viele Gesichter haben, und es ist oft schwer, die subtilen Signale richtig zu deuten. Die PISA-Studie der OECD aus dem Jahr 2017 offenbarte erschreckende Zahlen: Jede:r sechste:r Schüler:in in Deutschland ist von Mobbing betroffen. Eine Studie der Bertelsmannstiftung zeigte sogar, dass 60 Prozent der befragten Schüler:innen Ausgrenzung, Hänseleien oder sogar körperliche Gewalt erlebt haben. Ein Viertel der Kinder und Jugendlichen zwischen acht und vierzehn Jahren fühlt sich in der Schule unsicher. Zahlen, die alarmieren und uns Mütter aufrütteln sollten.

Nachdenklicher Junge - ein mögliches Anzeichen für Mobbing

Nachdenklicher Junge – ein mögliches Anzeichen für Mobbing

Marek Fink, Gründer des Vereins „Zeichen gegen Mobbing e.V.“, weiß aus langjähriger Erfahrung, wie wichtig es ist, aufmerksam zu sein: „Betroffene Kinder sind Meister:innen darin, sich zu verstellen. Sie wollen in der Klasse möglichst wenig auffallen und möglichst wenig angreifbar sein. Dafür verbergen sie oft ihre Gefühle.“ Er und sein Team aus 150 Ehrenamtlichen helfen seit 2017 deutschlandweit Kindern und Jugendlichen in Mobbing-Situationen. Sie bieten Präventionskurse und Interventionen an Schulen an und sprechen mit betroffenen Kindern, Klassenkamerad:innen, Eltern und Lehrer:innen. Ihre Arbeit zeigt: Das Erkennen der Anzeichen und die Sensibilisierung für das Problem sind entscheidend.

Verhaltensänderungen als Warnsignal

Was also sind die Alarmsignale, auf die wir achten sollten? Oft sind es subtile Veränderungen im Verhalten unseres Kindes, die uns stutzig machen sollten. Ist es plötzlich stiller als sonst? Zieht es sich zurück, möchte nicht mehr mit Freunden spielen oder an Familienaktivitäten teilnehmen? Wirkt es ängstlich, nervös oder ungewohnt aggressiv? All das können Anzeichen dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass diese Verhaltensweisen vielfältige Ursachen haben können. Es muss nicht immer Mobbing sein, vielleicht steckt auch die Pubertät, Liebeskummer oder Stress in der Schule dahinter. Aber es ist wichtig, hellhörig zu werden und genauer hinzuschauen.

Eine Liste mit möglichen Anzeichen für Mobbing:

  • Das Kind kommt wiederholt bedrückt nach Hause.
  • Es ist plötzlich ungewohnt still oder introvertiert.
  • Es wirkt ängstlich oder nervös.
  • Es zieht sich schnell aufs Zimmer zurück.
  • Es möchte nicht mehr am Familienleben teilnehmen.
  • Es ist ungewohnt aggressiv.
  • Es reagiert dem Anlass entsprechend nicht angemessen.

Manchmal äußert sich Mobbing auch indirekt, zum Beispiel durch psychosomatische Beschwerden. Plötzlich klagt das Kind über Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit, ohne dass es eine erkennbare körperliche Ursache gibt. Diese Beschwerden können ein Ausdruck von Stress und Angst sein, die durch die Mobbing-Situation verursacht werden. Auch Schulangst, Leistungsabfall oder fehlende Gegenstände können Hinweise auf Mobbing sein. Es ist wichtig, diese Signale ernst zu nehmen und mit dem Kind ins Gespräch zu kommen.

Die wichtigste Botschaft für Eltern: Probleme müssen nicht sofort mit einer Lösung verbunden werden. Es ist in Ordnung, wenn man nicht sofort eine Antwort hat. Wichtig ist, dem Kind zuzuhören und ihm zu zeigen, dass man für es da ist.

Die Maske des Lachens: Wenn Kinder ihre Gefühle verstecken

Die perfide Strategie von Mobbing ist, dass es oft im Verborgenen stattfindet. Die Täter agieren heimlich, die Opfer schämen sich und schweigen. Umso wichtiger ist es, dass wir als Mütter sensibel für die Signale sind, die unsere Kinder aussenden. Aber was, wenn das Kind seine Gefühle versteckt, eine Maske aufsetzt, um nicht angreifbar zu sein? Marek Fink schildert ein erschreckendes Beispiel: „Ein Kind, das wir betreut haben, hat beispielsweise irgendwann angefangen über jede Beleidigung, die es bekommen hat, zu lachen. Es wirkte wie das fröhlichste Kind der Klasse, weil es anstatt jedes Mal zu weinen, einfach gelacht hat und diese Emotionen für sich selbst verdreht hat.“ Eine unglaubliche Belastung für das Kind, das sich selbst irgendwann einredet, es dürfe sich gar nicht mehr schlecht fühlen.

Es ist eine große Herausforderung, dieses Verständnis zu bewahren: „Ich darf mich schlecht fühlen, ich darf darüber reden und ich darf mir Hilfe holen.“ Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Kindern signalisieren, dass sie sich uns anvertrauen können, dass wir ihnen zuhören, sie ernst nehmen und ihnen helfen, einen Weg aus der Situation zu finden. Es geht nicht darum, sofort eine Lösung zu präsentieren, sondern darum, da zu sein, zuzuhören und zu unterstützen.

Aggression als Hilfeschrei

Manchmal äußert sich Mobbing auch in aggressivem Verhalten. Marek Fink erinnert sich an seine eigene Schulzeit: „Ich war in der Grundschule selbst von Mobbing betroffen und habe damals sehr aggressiv darauf reagiert. Ich war das Kind, das angefangen hat, Stühle durch den Klassenraum zu schmeißen oder mir die anderen Kinder zu greifen und sie quasi durch den Klassenraum zu schleudern.“ Eine Reaktion, die ihm zwar kurzfristig Raum verschaffte, aber langfristig nicht half. Im Gegenteil, er wurde für sein Verhalten bestraft und verlor das Vertrauen in seine Lehrerin. Niemand fragte ihn, warum er so reagierte, stattdessen wurde er als „hochaggressives Kind“ abgestempelt. Eine Erfahrung, die zeigt, wie wichtig es ist, hinter das Verhalten eines Kindes zu schauen und die Ursachen zu ergründen.

Wenn dein Kind plötzlich aggressiv ist, solltest du nicht sofort mit Strafen reagieren, sondern versuchen, die Gründe für sein Verhalten zu verstehen. Sprich mit ihm, zeige ihm, dass du für es da bist und ihm helfen willst. Vielleicht steckt hinter der Aggression ein Hilfeschrei, ein Ausdruck von Ohnmacht und Verzweiflung.

Anpassung und Schuld: Wenn Mobbing die Persönlichkeit verändert

Um nicht angreifbar zu sein, passen sich viele Kinder an die Gruppe an. Sie kaufen teure Markenkleidung, geben mit neuen technischen Geräten an oder versuchen, durch Geschenke die Gunst der anderen zu gewinnen. Ein Teufelskreis, der das Selbstwertgefühl des Kindes weiter untergräbt. Auch das sogenannte Sündenbock-Phänomen ist ein häufiges Muster. Das Kind nimmt Schuld auf sich, auch wenn es gar nichts dafür kann, um Aufmerksamkeit zu bekommen. „Immerhin sprechen sie über mich, wenn schon nicht mit mir“, so die traurige Logik dahinter.

Auch hier ist es wichtig, als Mutter aufmerksam zu sein und zu hinterfragen, warum sich das Kind so verhält. Sprich mit ihm über seine Ängste und Sorgen, stärke sein Selbstwertgefühl und zeige ihm, dass es so, wie es ist, wertvoll und liebenswert ist. Erkläre ihm, dass es nicht seine Schuld ist, wenn es gemobbt wird, und dass es sich nicht anpassen oder verändern muss, um akzeptiert zu werden.

Was tun, wenn der Verdacht sich bestätigt?

Wenn sich der Verdacht auf Mobbing bestätigt, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu handeln. Sprich zunächst mit deinem Kind und höre ihm aufmerksam zu. Versuche, die Situation so genau wie möglich zu rekonstruieren und notiere dir alle wichtigen Details. Suche dann das Gespräch mit den Lehrern und der Schulleitung. Gemeinsam könnt ihr überlegen, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Mobbing-Situation zu beenden und dein Kind zu schützen.

Weitere Anlaufstellen sind Beratungsstellen, Therapeuten oder der Verein „Zeichen gegen Mobbing e.V.“. Wichtig ist, dass dein Kind weiß, dass es nicht allein ist und dass ihm geholfen wird. Stärke sein Selbstwertgefühl, unterstütze es bei der Bewältigung der Situation und zeige ihm, dass du immer für es da bist.

Fazit: Hinsehen, Zuhören, Handeln

Mobbing ist eine ernstzunehmende Bedrohung für unsere Kinder. Es kann ihre seelische Gesundheit beeinträchtigen, ihr Selbstwertgefühl zerstören und sogar zu Depressionen und Suizidgedanken führen. Umso wichtiger ist es, dass wir als Mütter aufmerksam sind, die Anzeichen erkennen und unseren Kindern helfen, aus dieser Situation herauszukommen. Hören wir ihnen zu, nehmen wir ihre Sorgen ernst und zeigen wir ihnen, dass sie nicht allein sind. Gemeinsam können wir eine Umgebung schaffen, in der sich unsere Kinder sicher und geborgen fühlen und in der Mobbing keinen Platz hat.

QUELLEN

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