Es ist ein Gefühl, das fast jede Mutter kennt: Die Geduld ist am Ende, die Nerven liegen blank und plötzlich bricht es aus einem heraus – ein lauter, scharfer Schrei, der sich gegen das eigene Kind richtet. Ein Moment, in dem man sich selbst fremd fühlt und sich fragt, wie es so weit kommen konnte. Doch was bewirkt dieses Schreien wirklich? Und gibt es bessere Wege, um mit Stress und Frustration im Erziehungsalltag umzugehen?
Warum Schreien keine Lösung ist
Schreien mag im ersten Moment wie ein Ventil wirken, um angestaute Wut und Hilflosigkeit loszuwerden. Doch die Realität sieht anders aus: Studien und Expertenmeinungen zeigen, dass Schreien langfristig negative Auswirkungen auf Kinder hat – und auch auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Laura Markham, PhD, eine klinische Psychologin und Autorin, betont: „Beim Schreien geht es darum, Wut abzulassen; es ist keine effektive Methode, um Verhalten zu ändern.“ Wenn ein Kind Angst hat, schaltet sein Gehirn in den Kampf-oder-Flucht-Modus, wodurch die Lernzentren blockiert werden. Das bedeutet, dass die Botschaft, die man eigentlich vermitteln möchte, gar nicht ankommt.
Joseph Shrand, MD, der medizinische Leiter von Riverside Community Care in Massachusetts, ergänzt: „Der rote Faden, der alle Menschen verbindet, ist das Bedürfnis, sich wertgeschätzt zu fühlen.“ Schreien untergräbt dieses Gefühl und lässt Kinder an ihrem Selbstwert zweifeln. Es erzeugt eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit, die langfristig zu Angstzuständen und Depressionen führen kann. Und nicht zuletzt zerstört Schreien die Verbindung zwischen Eltern und Kind, indem es Misstrauen und Distanz schafft. Es ist, als würde man Schulden auf ein Beziehungskonto einzahlen, das ohnehin schon belastet ist.
Die Auswirkungen von elterlichem Geschrei auf Kinder sind vielfältig und reichen von kurzfristigen Verhaltensänderungen bis hin zu langfristigen psychischen Problemen. Eine Studie, die Schreien als eine Form „harter Disziplin“ einstufte, kam zu dem Schluss, dass Kinder, die dem ausgesetzt sind, ein höheres Risiko für negative Folgen wie schlechte schulische Leistungen, Verhaltensprobleme und delinquentes Verhalten haben. Eine andere Studie ergab, dass häufiger verbaler Missbrauch, einschließlich Schreien, sogar die Art und Weise verändern kann, wie sich das Gehirn eines Kindes entwickelt. Es ist wichtig zu beachten, dass ein einmaliges Schreien wahrscheinlich keine dauerhaften Schäden verursacht. Diese Studien konzentrieren sich auf langfristige Muster von Schreien und anderen missbräuchlichen Verhaltensweisen.
Die zerstörerische Kraft des Schreiens: Eine Mutter erzählt
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als ich meine Tochter das erste Mal wirklich angeschrien habe. Sie war fünf, voller Energie und Entdeckerdrang, aber auch unglaublich stur. Wir waren im Supermarkt, und sie wollte unbedingt eine bestimmte Süßigkeit haben, die ich ihr verweigern wollte. Es begann mit einem Quengeln, dann einem Trotzanfall, und schließlich lag sie schreiend auf dem Boden. Um uns herum spürte ich die Blicke der anderen Kunden, und in mir kochte die Wut hoch. Ich beugte mich zu ihr runter und schrie sie an, sie solle sich endlich benehmen. In diesem Moment sah ich in ihren Augen nicht nur Angst, sondern auch eine tiefe Enttäuschung. Es war ein Moment, der mich noch lange verfolgen sollte.
„Schreien ist nicht einfach nur laute Kommunikation; es ist ein Ausdruck von Kontrollverlust und Hilflosigkeit, der tiefe Wunden in der Beziehung zwischen Eltern und Kind hinterlassen kann.“
Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass Schreien keine Lösung ist. Es mag kurzfristig eine Reaktion auf Stress und Überforderung sein, aber langfristig schadet es sowohl dem Kind als auch der Beziehung. Stattdessen müssen wir lernen, unsere eigenen Emotionen zu regulieren und unseren Kindern mit Respekt und Verständnis zu begegnen.
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Warum schreien Eltern überhaupt?
Wenn Schreien so schädlich ist, warum tun wir es dann überhaupt? Die Antwort liegt oft in unseren eigenen unbewussten Mustern und Prägungen. Viele Eltern haben selbst in ihrer Kindheit Schreien erlebt und übernehmen dieses Verhaltensmuster unbewusst. Hinzu kommt der immense Druck, dem moderne Eltern ausgesetzt sind: Beruf, Haushalt, Kindererziehung – all das unter einen Hut zu bringen, ist eine Mammutaufgabe, die oft zu Überforderung und Stress führt. Und wenn dann noch ein Kind „nicht spurt“, platzt der sprichwörtliche Kragen.
Dr. Shrand erklärt, dass Menschen schreien, weil es ihre Standardreaktion ist, wenn sie wütend sind. Er merkt auch an, dass es nichts Falsches daran ist, Wut zu empfinden. „Es kommt darauf an, was wir mit dieser Wut machen“, fügt er hinzu. Wut ist ein Gefühl, das wir empfinden, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir es uns wünschen. „Wir empfinden Wut, weil wir uns wünschen, dass unser Kind aufhört, etwas zu tun oder anfängt, etwas zu tun“, sagt Dr. Shrand. Zum Beispiel: „Ich wünschte, meine Tochter würde ihre kleine Schwester nicht schlagen“, oder „Ich wünschte, mein Sohn würde mir die Wahrheit darüber sagen, wo er letzte Nacht war.“ Das sind Verhaltensweisen, die Eltern gerne ändern würden, und sie können einen Wutausbruch auslösen. Einige Methoden zur Verhaltensänderung sind jedoch effektiver als andere. Eltern, die erkennen, dass Schreien kontraproduktiv ist, suchen eher nach einem besseren Vorgehen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Wut ein normales Gefühl ist. Es geht darum, wie wir mit dieser Wut umgehen. Eltern, die erkennen, dass Schreien nicht funktioniert, sind eher bereit, nach besseren Lösungen zu suchen.
Wege aus der Schrei-Spirale: Strategien für einen liebevollen Umgang
Der erste Schritt, um das Schreien zu stoppen, ist die Erkenntnis, dass es ein Problem ist. Akzeptieren Sie, dass Sie manchmal die Kontrolle verlieren, und seien Sie bereit, an sich selbst zu arbeiten. Der nächste Schritt ist, alternative Strategien zu entwickeln, um mit Stress und Frustration umzugehen. Hier sind einige bewährte Methoden:
- Achtsamkeit: Nehmen Sie sich bewusst Zeit für sich selbst, um zur Ruhe zu kommen und Ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Meditation, Yoga oder ein Spaziergang in der Natur können Wunder wirken.
- Kommunikation: Sprechen Sie mit Ihrem Partner, Freunden oder einer Beratungsstelle über Ihre Gefühle und Sorgen. Reden hilft, den Druck abzubauen und neue Perspektiven zu gewinnen.
- Grenzen setzen: Definieren Sie klare Regeln und Konsequenzen für das Verhalten Ihrer Kinder. Das gibt ihnen Sicherheit und Orientierung und reduziert Frustration auf beiden Seiten.
- Empathie: Versuchen Sie, sich in die Lage Ihres Kindes zu versetzen und seine Gefühle zu verstehen. Oft steckt hinter „schlechtem“ Verhalten ein unerfülltes Bedürfnis oder eine Überforderung.
- Selbstfürsorge: Achten Sie auf Ihre eigenen Bedürfnisse und nehmen Sie sich Zeit für Dinge, die Ihnen Freude bereiten. Nur wenn Sie selbst im Gleichgewicht sind, können Sie Ihren Kindern ein guter Elternteil sein.
Dr. Markham schlägt vor, nach dem Beruhigen zu sagen: „Lasst es uns noch einmal versuchen“, um die Interaktion positiver zu gestalten. Nicht zu schreien erfordert Arbeit, und für viele von uns braucht es Zeit und Übung. Wenn Sie sich dabei ertappen, wie Sie schreien, halten Sie inne und entschuldigen Sie sich. Erkennen Sie Ihren Fehler an und versuchen Sie es erneut. Je mehr Sie üben, den Kreislauf des Schreiens zu unterbrechen, desto einfacher wird es. Dr. Markham erklärt, dass es viel einfacher ist, nicht zu schreien, wenn man eine starke Verbindung zu seinem Kind hat. Es ist ein guter Anfang, außerhalb von Stresssituationen an der Beziehung zu arbeiten. Wenn Sie immer noch Schwierigkeiten haben, Ihre Emotionen zu kontrollieren, sollten Sie professionelle Hilfe von einem Arzt oder Psychologen in Anspruch nehmen. Zugrunde liegende Gesundheitsprobleme können zu Ihrem Kampf beitragen, und eine Therapie kann helfen, Auslöser und Muster zu erkennen, insbesondere wenn Sie in einem Haushalt aufgewachsen sind, in dem Schreien üblich war.
Fazit: Ein liebevoller Weg ist möglich
Ein Neuanfang: Den Kreislauf durchbrechen
Es ist nie zu spät, um alte Muster zu durchbrechen und einen liebevolleren Weg im Umgang mit unseren Kindern zu finden. Es erfordert Mut, Ehrlichkeit und die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten. Aber es lohnt sich. Denn eine Beziehung, die auf Respekt, Verständnis und Liebe basiert, ist das wertvollste Geschenk, das wir unseren Kindern mit auf den Weg geben können. Und letztendlich profitieren auch wir selbst davon, wenn wir lernen, unsere eigenen Emotionen zu regulieren und einen friedlicheren Umgang mit unseren Liebsten zu pflegen. Es ist ein Weg, der nicht immer einfach ist, aber er führt zu einem erfüllteren und harmonischeren Familienleben.
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